Alle elf Sekunden wird ein Mädchen an seinen Genitalien verstümmelt. Weltweit sind gemäss Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation 100 bis 150 Millionen Mädchen betroffen. „Schnitt ins Leben. Weibliche Genitalverstümmelung-auch in der Schweiz“ ist eine von TERRE DES FEMMES Schweiz konzipierte Ausstellung, welche Besucher und Besucherinnen dazu bewegen soll, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Marisa Birri von TERRE DES FEMMES Schweiz erläutert genauer, worum es bei dieser Ausstellung genau geht.
Wie entstand die Ausstellung „Schnitt ins Leben“?
Durch Migration ist weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation FGM) auch in der Schweiz ein Thema. In der Schweiz sind gemäss Schätzungen bis zu 7000 Mädchen und Frauen von FGM betroffen oder gefährdet. In der Folge kommen Fachpersonen in ihrem Berufsalltag mit betroffenen oder gefährdeten Mädchen und Frauen in Kontakt.
Dies stellt diese Fachpersonen vor enorme Herausforderungen. Um angemessen zu handeln, brauchen diese Personen spezifisches Wissen, eine entsprechende Sensibilisierung, transkulturelle Kompetenzen, sowie Strukturen und Ressourcen, die von den Institutionen bereit gestellt werden müssen. Fachpersonen können und müssen eine zentrale Rolle einnehmen in der Prävention und dem Schutz von gefährdeten Mädchen in der Schweiz.
Der Wissens- und Informationsbedarf an Fakten über FGM ist nach wie vor sehr gross. Und in diesen Kontext ist auch die Ausstellung „Schnitt ins Leben“ einzuordnen.
Aufgrund dieser Ausgangslage hat TERRE DES FEMMES Schweiz 2008 beschlossen, eine Kampagne gegen weibliche Genitalverstümmelung in der Schweiz zu lancieren. Die Kampagne sollte in erster Linie Fachpersonen ansprechen.
Was wird in der Ausstellung genau gezeigt?
Die Ausstelllung soll Interessierte und Fachpersonen über FGM informieren. Die Ausstellung erklärt in einem ersten Teil die Grundlagen: Was ist weibliche Genitalverstümmelung, welche Formen gibt es? In einem zweiten Teil werden persönliche Geschichten von Frauen, die Opfer von FGM geworden sind und sich heute aktiv dagegen engagieren, vorgestellt. In einem dritten Teil gibt es Informationen zur internationalen Rechtslage, wo verdeutlicht wird, dass FGM eine Menschenrechtsverletzung ist. Im vierten Teil wird FGM im Schweizer Kontext thematisiert. Durch die ganze Ausstellung ziehen sich „Testimonials“ von unterschiedlichen Menschen, die sich gegen FGM engagieren.
Diese Ausstellung ist Teil der Kampagne „Schnitt ins Leben.“, gibt es auch noch andere Veranstaltungen?
Die Ausstellung, die nun im 2011 zu Ende geht, wurde in dieser Zeit in zahlreichen Bildungszentren, Fachhochschulen, Kirchgemeinden gezeigt. Durch die Präsentation in insgesamt 20 Lokalitäten konnten neben einer interessierten Öffentlichkeit insbesondere Fachpersonen erreicht werden. Rund um die Ausstellung, wurde dabei oft ein Rahmenprogramm aufgestellt mit Weiterbildungen, Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Filmvorführungen usw.
Im November/Dezember 2010 fand die zweijährige Kampagne gegen FGM in der VOIX DES FEMMES-Veranstaltungsreihe «Edna Adan – wie Frauen die Welt verändern» einen fulminanten Schlusspunkt. TERRE DES FEMMES Schweiz hatte Edna Adan aus Somaliland für eine Veranstaltungsreihe in die Schweiz eingeladen. Edna Adan ist die Gründerin der ersten Geburtsklinik in Somaliland und eine Pionierin und Expertin im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung.
Obwohl diese Kampagne nun zu Ende ist, wird die Ausstellung weiterhin gezeigt. Auch wird das Engagement von TERRE DES FEMMES Schweiz weitergehen, denn es besteht nach wie vor grosser Handlungsbedarf in der Präventions- und Sensibilisierungsarbeit.
Genitalverstümmelung wird auch in der Schweiz praktiziert. Nach Schätzungen von UNICEF Schweiz sind 6’000 – 7’000 Mädchen von der Genitalverstümmelung betroffen. Wie kommt es, dass die Anzahl in der Schweiz so hoch ist?
Diese Schätzung umfasst Mädchen und Frauen, die von FGM betroffen, d.h. schon beschnitten sind sowie Mädchen, die gefährdet sind beschnitten zu werden. Diese Schätzung ergibt sich aus der Zahl der in der Schweiz lebenden Migrantinnen aus Ländern, die FGM praktizieren sowie die Vorkommensrate von FGM in diesen Ländern.
Die häufigsten Ursprungsländer dieser betroffenen und gefährdeten Frauen und Mädchen in der Schweiz sind Somalia, Äthiopien und Eritrea. In Somalia sind schätzungsweise 98% der Frauen von FGM betroffen, in Eritrea 89% und in Äthiopien 74%.
Wie passiert die Genitalverstümmelung in der Schweiz?
Man muss davon ausgehen, dass FGM auch in der Schweiz praktiziert wird, es gibt aber keine „harten“ Fakten dazu.
Man geht davon aus, aufgrund von Aussagen von Mitgliedern von Gemeinschaften, die FGM praktizieren. Auch wurden medizinische Fachpersonen schon von Eltern angefragt, wo man in der Schweiz die Tochter beschneiden lassen könne. Bisher gab es in der Schweiz ein Strafverfahren: Das Obergericht des Kt. Zürich hat im Juni 2008 die Eltern, die ihre zweijährige Tochter von einem durchreisenden Beschneider hier in der Schweiz haben beschneiden lassen, wegen Anstiftung zur schweren Körperverletzung an ihrer Tochter zu je zwei Jahren Freiheitsstrafe bedingt verurteilt.
Es werden nur wenige Fälle publik, aber man geht von einer hohen Dunkelziffer aus.
M.S.