Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Was klar scheint, ist zwischen Männern und Frauen noch immer nicht Tatsache
Frauen verdienen in der Schweiz in der Privatwirtschaft durchschnittlich 23 Prozent weniger als Männer. Über ein Drittel des Lohnunterschieds lässt sich laut Statistikern nicht schlüssig erklären, ist also nicht auf harte Kriterien wie Qualifikation, Funktion oder Dienstalter zurückzuführen. Das Eidgenössische Gleichstellungsbüro erklärt die Lücke mit Diskriminierung. «Das Konzept der Freiwilligkeit ist gescheitert», sagt Christina Werder vom Gewerkschaftsbund mit Verweis auf die magere Teilnehmerzahl beim «Lohngleichheitsdialog». Um das Gleichstellungsgesetz von 1996 umzusetzen, das «gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit» postuliert, brauche es jetzt staatliche Lohnkontrollen, eine Nachweispflicht der Arbeitgeber sowie Sanktionsmöglichkeiten. SP-Politikern schwebt konkret ein Regime vor, wie es die Schweiz im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping im Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit praktiziert. Demnach müssten die bestehenden tripartiten Arbeitsmarkt-Kommissionen der Kantone und des Bundes neu auch überwachen, ob überall in der Schweiz das Gebot der Lohngleichheit befolgt wird. Das heisst: Arbeitsmarktinspektoren hätten Lohnbuchhaltungen zusätzlich auf allfällige Diskriminierungen von Frauen zu durchforsten. Am 15. November tritt Simonetta Sommaruga am Frauenkongress des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes auf. Von der SP-Bundesrätin und Justizministerin erwarten die Gewerkschaftsfrauen, dass sie staatliche Zwangsmassnahmen gegen Lohndiskriminierung von Frauen propagiert. Sommaruga dürfte dem Wunsch nachkommen. Für eine sozialdemokratische Bundesrätin ist es parteipolitische Pflicht und ein Gebot des Prestiges, für Lohngleichheit zu kämpfen. Der Auftritt ist kein Zufall.
Im Dezember fällt der Entscheid, wie es mit dem «Lohngleichheitsdialog» weitergehen soll. Bei diesem Projekt, das der Bund und die Sozialpartner 2009 gemeinsam gestartet haben, können Firmen freiwillig ihr Lohnsystem überprüfen lassen und allfällige Diskriminierungen beseitigen. Der auf fünf Jahre angelegte «Dialog» läuft im nächsten Februar ab, doch schon jetzt steht fest: Das formulierte Ziel, hundert Firmen für eine Lohnüberprüfung zu gewinnen, wird bei weitem nicht erreicht. Erst vierzig Unternehmen haben sich bisher angemeldet; zieht man Staatsbetriebe, staatsnahe Institutionen, Verbände und Gewerkschaften ab, sind es nur rund zwanzig.
Warnung vor absurdem Kontrollapparat
Ruth Derrer vom Arbeitgeberverband warnt vor einem «absurden Kontrollapparat für Fälle, die am Schluss nur sehr schwierig zu klären» seien. Ob ein Maurer den ortsüblichen Lohn erhalte, sei viel leichter zu beurteilen, als herauszufinden, ob die Lohndifferenz zwischen einem Mann und einer Frau die Folge einer Diskriminierung sei. Dass der «Lohngleichheitsdialog» nicht den erhofften Erfolg gebracht habe, heisse nicht, dass keine Fortschritte erzielt worden seien: «Viele grössere Firmen haben Lohngleichheitsanalysen gemacht, aber sie wollten die Löhne nicht zusammen mit den Gewerkschaften anschauen.» Dazu gehöre etwa die Zürcher Kantonalbank, die das auch in ihrem Jahresbericht ausweist. Der Arbeitgeberverband findet es generell falsch, «immer mehr Regeln und Kontrollen einzuführen», die Schweiz sei mit der «unternehmerischen Freiheit» bisher gut gefahren. Deshalb pochen die Arbeitgeber jetzt auch bei der Umsetzung der Lohngleichheit auf Freiwilligkeit. Der «Lohngleichheitsdialog» sei fortzusetzen, so Derrer, allenfalls in modifizierter Form, um die Skepsis der Unternehmen zu zerstreuen. «Denkbar wäre, dass Firmen ihre internen Lohngleichheitsanalysen von einer unabhängigen Stelle anerkennen lassen und dann ebenfalls auf die Liste der Dialogteilnehmer kommen.» Den «Lohngleichheitsdialog» zu verlängern ist für Justizministerin Sommaruga vorstellbar. Aber parallel dazu will sie den Gesetzgebungsprozess für Lohnkontrollen in Gang setzen. Dass die SP-Bundesrätin doppelspurig weiterfahren will, hat praktische Gründe: Mit einem Übungsabbruch würde Sommaruga aufs Spiel setzen, was die laufenden freiwilligen Massnahmen an Fortschritten bringen. Dies wäre äusserst riskant. Denn ob staatliche Zwangsmassnahmen jemals Realität werden, ist ungewiss. Zwar gibt sich Paul Rechsteiner, Präsident des Gewerkschaftsbundes und SP-Ständerat, zuversichtlich, dass im Parlament eine Mehrheit für Zwangsmassnahmen möglich sei. Tatsächlich hat sich die Wirtschaftskommission des Nationalrats im letzten Jahr überraschend für eine «unabhängige Lohngleichheitskommission» mit «Untersuchungs- und Durchsetzungskompetenzen» ausgesprochen.
Bei genauem Hinsehen stellt sich aber heraus, dass mehrere Kommissionsmitglieder damals in erster Linie die Wirtschaft unter Druck setzen wollten, endlich beim «Lohngleichheitsdialog» mitzumachen. Von FDP und SVP kann Rechsteiner jedenfalls keine Unterstützung erwarten. Für eine Mehrheit braucht das rot-grüne Lager demnach die geschlossene Hilfe der CVP. Danach sieht es aber nicht aus. «Wir wollen keine staatliche Einmischung in die Lohnpolitik», sagt Parteipräsident Christophe Darbellay. Nur Einzelne in der CVP-Bundeshausfraktion seien anderer Meinung. «Keine Chance» für einen staatlichen Eingriff sieht parteiintern auch Fraktionschef Urs Schwaller: «Die grosse Mehrheit will eine Lösung ohne Zwang.» Die CVP-Spitze will mit freiwilligen Massnahmen weiterfahren – nur so seien die Unternehmen dabei.
Die ZKB macht es vor
Wer sich vom Staat nicht kontrollieren lässt, der hat nicht automatisch ein ungerechtes Lohnsystem: Was Wirtschaftsvertreter unablässig betonen, ist zumindest bei der Zürcher Kantonalbank Realität. So versichern es jedenfalls die Verantwortlichen der Bank selber. Die ZKB hat dieses Jahr das auf Lohngleichheit spezialisierte Büro für Arbeitspsychologie und Organisationsberatung mit einer Analyse ihrer Lohnstruktur beauftragt. Das Resultat: Nach Abzug der harten Kriterien wie Qualifikation, Funktion oder Dienstalter bleibt zwischen den Löhnen der Männer und Frauen eine nicht erklärbare Differenz von 2,6 Prozent.
Die Zürcher Kantonalbank betont, ihr Wert liege unter der Toleranzschwelle von 5 Prozent, wie sie vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann gewährt werde. «Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass wir bezüglich Lohngleichheit auf sehr gutem Weg sind», sagt ZKB-Sprecher Diego Wider. Und dies nicht erst seit heute: Eine ebenfalls extern durchgeführte Untersuchung vor zwei Jahren habe eine vergleichbar minimale Lohndifferenz zutage gefördert wie heuer, sagt Wider. Die Bank startete ihre Bemühungen für ein möglichst diskriminierungsfreies Lohnsystem 2007. Staatliche Zwangsmassnahmen gegen die Lohndiskriminierung von Frauen lehnt die ZKB daher ab. «Lohnanalysen sind sensible Informationen und sollen daher in voller Transparenz besprochen und analysiert werden – und zwar mit dem internen Sozialpartner», beschreibt Wider die Position der Bank. Die Lohngleichheit gehört zu den Grundsätzen der ZKB-Salärpolitik. In der Lesart der Bank bedeutet sie Folgendes: gleicher Lohn für Männer und Frauen in denselben Berufsbildern mit den gleichen Qualifikationen. Für Transparenz gegenüber den Mitarbeitenden sorgt die ZKB, indem sie die geschlechtsspezifische Lohndifferenz alljährlich im Geschäftsbericht ausweist.
Die Zürcher Kantonalbank hat eine Teilnahme am «Lohngleichheitsdialog» des Bundes zwar geprüft, sich aber nach eingehender Analyse dagegen entschieden. Sie kam zu diesem Schluss, weil das Messinstrument Logib lediglich eine Grobauswertung liefere. «Das Instrument zeigt uns nicht konkret auf, welche Massnahmen wir ergreifen müssten, um allfällige Lohnungleichheiten zu beseitigen», sagt Sprecher Wider. Zudem eigne sich das Messinstrument schlecht, um das komplexe Lohnsystem einer Universalbank wie der ZKB abzubilden. Diese Mängel habe auch der Arbeitgeberverband der Banken in der Schweiz (AGV) geortet und Verbesserungen angeregt. Doch das Projekt «Lohngleichheitsdialog» sei unverändert weitergeführt worden.