SP und FDP zeigen sich erschüttert angesichts der verhafteten Stadtpolizisten
FDP-Fraktionschef Roger Tognella ist Vizepräsident der Polizeikommission im Gemeinderat. «Ich war baff und erschüttert, als ich von den fünf verhafteten Polizisten erfuhr», sagt er. Dadurch leide das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Polizei. Ein solcher Korruptionsverdacht hinterlasse ein ungutes Gefühl. Tognella will von Polizeivorsteher Richard Wolff wissen, wie es um die Kultur in dieser Abteilung steht. «5 von 17 Polizisten wurden verhaftet. Das deutet auf ein organisiertes Vorgehen hin.» Für Min Li Marti, SP-Fraktionschefin, ist die Verhaftung «sehr unschön». Eine Erklärung für die Vorwürfe – sollten sie denn zutreffen – sei schwierig zu finden. «Auch Polizisten können auf die schiefe Bahn oder in Versuchung geraten.» Ebenfalls sei eine zu grosse Nähe zu den Akteuren im Milieu denkbar. Eine politische Komponente sei in diesem Fall nicht erkennbar, deshalb hält sich Marti mit politischen Forderungen zurück. «Sollten sich die Vorwürfe allerdings erhärten, muss Polizeivorsteher Richard Wolff genau untersuchen, was schiefgelaufen ist. Dass so viele Polizisten betroffen sind, ist doch aussergewöhnlich.» Mauro Tuena (SVP) ist Präsident der Polizeikommission. Er hält sich mit kritischen Kommentaren zurück und stärkt dem Polizeikorps generell den Rücken: «Polizisten üben einen schwierigen Job aus.» Ob etwas an den Vorwürfen dran sei, werde die eingeleitete Untersuchung zeigen. «Es darf keine Vorverurteilungen geben. Es gilt die Unschuldsvermutung.» Auf die acht geplanten neuen Polizeistellen dürfe der jetzige Vorfall in der kommenden Budgetdebatte keinen Einfluss haben.
Die Korruptions-Affäre bei der Zürcher Sittenpolizei ist laut Recherchen der «Sonntagszeitung» gravierender als bislang bekannt. Die Staatsanwaltschaft untersucht auch einen Vorfall, bei dem sich mehrere Beamte der Sittenpolizei von Personen aus dem Umfeld des Sexmilieus zu einem Festgelage überreden liessen. Die Ermittler observierten ihre Kollegen von der «Sitte» vor einigen Wochen am Oktoberfest auf dem Zürcher Bauschänzli. Hierhin wurden sie laut Untersuchungsakten von Milieu-Personen zu Gratisbier und Sauerkraut eingeladen.
Bislang waren nur mutmassliche Verfehlungen der Beamten im Zusammenhang mit dem Nachtclub Chilli’s bekannt geworden. An der Einladung zum Bierfest war laut «Sonntagszeitung» der Wirt des Zürcher Milieulokals Schweizerdegen beteiligt. Gemäss den Untersuchungsakten sollen die Zürcher Sittenpolizisten nicht nur im Chilli’s, sondern auch in seinem Lokal gratis Getränke und Essen erhalten haben. Im Gegenzug traten die Polizisten für den Wirt als Assistenten bei Milieu-Streitigkeiten auf. Im Zentrum der Ermittlungen stehen zwei langjährige Sittenpolizisten. Das bestätigen zwei gut informierte Personen gegenüber der «NZZ am Sonntag». Bei den beiden Hauptbeschuldigten der Affäre handelt es sich um Beamte, die seit mindestens 2006 für die Abteilung «Milieu- und Sexualdelikte» der Zürcher Stadtpolizei arbeiten. Sie sollen im Milieu geheime Polizei-Informationen verraten und dafür Sex, Essen und Getränke erhalten haben.
Die Leidtragenden
Einerseits die Angestellten des Lokals; Regula Rother, Leiterin der Zürcher Stadtmission, stört sich daran, dass nun vor allem die Frauen die Leidtragenden sind: Durch die Schliessung würden rund 30 Frauen arbeits- und zum Teil obdachlos. Die Prostituierten und Tänzerinnen können nicht wie in anderen Branchen üblich Arbeitslosengeld beziehen, sagt Rother gegenüber der «NZZ am Sonntag».
Kritisiert wird, dass man bei der von langer Hand vorbereiteten Aktion, nicht auch an ein Auffangnetz für die Prostituierten mit entsprechender Hilfe gedacht hat. Laut dem Zürcher Polizeikommandant Daniel Blumer lief die Aktion unter der Verantwortung der Staatsanwaltschaft.
Anderseits nichtsahnende Besucher; Markus W.* hatte sich am Freitag, dem 14. Juni, abends um sechs Uhr im Zürcher Chräis Chäib mit einem Kollegen verabredet, um etwas Geschäftliches zu besprechen. Der Kollege tauchte nicht rechtzeitig auf, und W. wollte sich die Wartezeit im Chilli’s vertreiben, betrat das Lokal und bestellte einen Whisky. Was dann passierte, schildert W. als «den grössten Albtraum meines Lebens». Obwohl er weder eine Kreditkarte und nur wenig Bargeld dabeihatte, überredeten ihn eine Animierdame und ein Kellner dazu, eine Champagnerflasche für 190 Franken zu bestellen. W. dachte, zur Feier des Tages – er stand kurz vor der Pensionierung – wolle er sich diese Champagnerflasche gönnen. «Da ich nichts hatte, um diesen Betrag zu zahlen, schlug ich vor, die 190 Franken am darauffolgenden Montag zu zahlen. Um seine Solvenz zu beweisen, habe er den beiden, Versicherungsbelege gezeigt, die bewiesen, dass er sich in Kürze ein «Pensionskassenkapital von bedeutender Höhe» auszahlen lassen könne, sagt W.
Da sich W. gegen den Gang ins Séparée wehrte, hätten die Animierdamen ihn in einen Sessel im Club gedrückt. «Eine von ihnen zwang mich dann regelrecht, den Whisky zu trinken, den ich ursprünglich bestellt und in dem ganzen Trubel wieder vergessen hatte», sagt W. Eine halbe Stunde später, etwa um halb acht Uhr habe er das letzte Mal auf die Uhr geschaut. Von da an wisse er nichts mehr. «Ich wachte um etwa halb drei Uhr in der Nacht mitten im Club wieder auf, in dem mittlerweile Hochbetrieb herrschte», sagt W. Sofort habe ihn Panik ergriffen, und er hätte am liebsten auf der Stelle davonrennen wollen. «Aber ich konnte nicht, ich war apathisch und völlig willenlos und fragte nur noch nach einem Taxi», sagt W. Dann habe ihm Samir Y., der Gerant des Chilli’s, eine Rechnung von über 26’000 Franken und die dazugehörigen Belege über 20 Magnum-Champagner-Flaschen präsentiert. «Ich unterschrieb, den Betrag zu schulden, aber ich war komplett weggetreten, vermutlich von Medikamenten, die man mir in den Whisky gemischt hatte», sagt W. Und: «Niemand kann 20 Flaschen Magnum-Champagner trinken in einer Nacht und sexuelle Dienstleistungen habe ich in meinem Zustand auch keine in Anspruch genommen.» Am Morgen erstattete W. Anzeige wegen Betrugs und Körperverletzung bei der Stadtpolizei. Den geschuldeten Betrag zahlte er nicht. Am 4. Juli erhielt W. einen Zahlungsbefehl des Betreibungsamtes Zürich 7, Samir Y. betrieb W. um insgesamt 26’932 Franken. Der Rechtsberater des Chilli’s, Alfredo Borgatte, bestreitet W.s Darstellung. Dieser habe am fraglichen Abend angekündigt, anlässlich seiner Pensionierung «mal ein bisschen über die Stränge schlagen zu wollen».