Die Mutter checkt die Mails, während der Vater das Facebook-Profil überprüft
Dass die NSA unseren Mailverkehr überwacht, daran haben wir uns schon fast gewöhnt. Bei Kindern und Jugendlichen sitzen die Spione aber meist nicht in Washington, sondern im eigenen Zuhause. Laut einer aktuellen Studie der Universität Zürich kontrollieren 43 Prozent der Eltern in der Schweiz die Mails und Facebook-Nachrichten ihrer Sprösslinge, wenn diese neun bis zehn Jahre alt sind. Bei den 15- und 16-Jährigen liest immerhin noch fast ein Fünftel der Erziehungsberechtigten mit. Aber nicht nur elektronische Nachrichten werden angeschaut: Rund die Hälfte der Eltern verfolgt, welche Websites ihr Kind besucht hat. 41 Prozent überprüfen ausserdem gezielt die Profile des Nachwuchses in sozialen Netzwerken, wie die «Aargauer Zeitung» schreibt. In Auftrag gegeben hat die Studie das nationale Programm Jugend und Medien. «Wir wollten herausfinden, wie die Eltern ihre Kinder im Internet begleiten, um die Weiterbildungskurse für Eltern auf den aktuellsten Stand zu bringen», sagt Thomas Vollmer von Jugend und Medien.
Das Ergebnis findet der Fachmann problematisch. «Das Kontrollieren hinter dem Rücken des Kindes ist ein Vertrauensbruch, der das Verhältnis stark belasten kann.» Er verstehe zwar, dass Eltern Risiken abwehren möchten. «Aber viel wichtiger wäre, das Kind zu begleiten, Gefahren zu besprechen und gemeinsam Dinge im Internet auszuprobieren.» Für viele Eltern ist das denn auch eine Verunsicherung. Die fünffache Mutter und Autorin Tamar Venditti, die laut eigenen Angaben ihren Kindern nicht nachspioniert, titelte am Montag in ihrem Blog: «Wie wir es auch machen, ist es falsch.» Eben habe man den Eltern noch pauschal vorgeworfen, sie würden ihre Kinder im virtuellen Raum alleine lassen, hätten keine Ahnung, was dort alles abgeht, und würden sich auch nicht dafür interessieren. «Jetzt aber hat der Wind gedreht, wir Eltern kümmern uns. Aber falsch. Wir verletzen die Privatsphäre unserer Neun- bis Zehnjährigen, wenn wir ihre Nachrichten lesen.»
Daniela Melone, Leiterin Elternberatung bei Pro Juventute, kann besorgte Mütter und Väter zwar verstehen. «Die heimliche Kontrolle ist aber ein Vertrauensbruch und zudem ein Schuss in den Ofen.» Das Kind richte sich dann womöglich ein neues Facebook-Profil ein – dieses Mal ohne das Wissen der Eltern. «Anstatt zu spionieren, sollte man direkt fragen, was denn die Kinder im Internet erleben und auf welchen Plattformen sie Profile haben.» Auch wenn diese Neugierde nicht gleich auf Gegenliebe stösst: Melone rät dazu, wohlwollend hartnäckig zu bleiben. «Interessiert man sich nicht, kann beim Kind das Gefühl entstehen, es sei einem gleichgültig.» Die Regelungen in Bezug aufs Internet müssen laut Vollmer in jeder Familie individuell ausgehandelt werden. «Wenn es in gegenseitigem Einvernehmen geschieht, dürften sogar auch Mails gelesen werden. Heimlich ist hingegen tabu.» Die spionierenden Eltern handeln auch rechtlich fragwürdig: «Kinder haben das Recht auf ihre Privat- und Intimsphäre. Eltern dürfen nicht ohne Erlaubnis ihres Kindes seine Sachen durchsuchen, Telefongespräche abhören oder Briefe lesen», heisst es in Artikel 16 der UN-Kinderrechtskonvention. Ganz klar ist der Fall dennoch nicht: «Eltern haben eine Aufsichtspflicht. Das könnte ein Rechtfertigungsgrund sein», heisst es bei der Anwaltskanzlei Zulauf Bürgi Partner in Zürich.