Jährlich wandern laut Bundesstatistik 10 Prozent mehr Schweizer ins Ausland aus als wieder ein
Bei den 25- bis 44-Jährigen ist die Differenz noch grösser. Auf vier Schweizer, die im arbeitsfähigen Alter in die Heimat zurückkehren, kommen fünf, die in der Fremde ihr Glück suchen. Anders bei den Pensionierten. 2013 kehrten 7,2 Prozent mehr Schweizer über 65 heim als auswanderten. Sich hierzulande ausbilden lassen, im Ausland arbeiten, zur PENSION oder Familiengründung in die Schweiz zurückkehren. Bisher ist für den ehemaligen Swisscom-Lehrling Simon Rohrbach der Plan aufgegangen. Heute ist er Chefdesigner einer aufstrebenden Internetfirma. Er sagt: «Solange mir die Karriere wichtig ist, so lange ist es wichtig, hier in London zu sein.» Die eingebürgerte Kate Darling tönt ähnlich. Sie ist im Alter von neun Jahren aus den USA in die Schweiz gekommen. Sie besuchte in Basel Primarschule, Mittelstufe und Gymnasium. An der Uni Basel studierte sie Recht. Heute forscht sie im Bereich Roboterethik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA. «Ich habe mich lange dagegen gesträubt, die Schweiz zu verlassen», sagt die 33-Jährige in breitem Baseldeutsch am Telefon. «Als ich eingebürgert wurde, war ich auf den roten Pass richtig stolz.»
Gut ausgebildete Schweizer als die grossen Profiteure der Globalisierung?
Doch sie habe gemerkt, dass ihre Karrierechancen im Ausland einfach besser seien. Vor einem Jahr brach Darling deshalb definitiv ihre Zelte in der Schweiz ab. Sieht sie sich als Einzelfall? «Vielleicht hat es mit meiner Arbeit zu tun», sagt die Forscherin, «aber ich habe es lustiger weise viel mit Schweizern zu tun, die hier in den USA leben und arbeiten.» Für den Schweizer Staat wäre das weniger lustig. Er wäre bei jährlichen Investitionskosten von 16’000 Franken pro Schüler und Jahr – die weltweit höchsten Bildungsausgaben – der grosse Verlierer.
Man würde meinen, dass es gerade in der Alpenrepublik, wo sonst alles und jeder vermessen wird, hinreichend Daten dazu gäbe, wer das Land verlässt – um etwa zu prüfen, wie sinnvoll Argumente der SVP bei der Masseneinwanderungsinitiative sind, bei qualifizierten Jobs auf Schweizer setzen. Wenn mehr hoch qualifizierte Schweizer jährlich das Land verlassen als einwandern, ein schwieriges Unterfangen. Tatsächlich aber wissen die Behörden wenig über Schweizer Emigranten. Das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) kennt die Zielorte der Auswanderer. Das Bundesamt für Statistik Alter und Geschlecht. Was den Behörden fehlt, sind wichtige demografische Angaben wie Bildung oder Beruf. «Das ist kein Schweizer Problem», erklärt Thomas Liebig von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), «die steigende Migration von hoch qualifizierten Arbeitskräften rückt überall erst allmählich ins Interesse der Politik.» Vor allem deshalb, weil sie zwischen 2000 und 2010 weltweit um 70 Prozent auf 29 Millionen gestiegen ist. Die OECD hat nun in einer bisher eimaligen Aktion alle Volkszählungen der Mitgliedsstaaten in einer Datenbank vereint. Sie soll in den kommenden Wochen veröffentlicht werden. Im Auftrag der «SonntagsZeitung» hat die OECD die Auslandschweizer in den weltweiten Zensus-Daten bereits analysiert. Die Ergebnisse, die hier auch der Datenblog präsentiert, erlauben erstmals Rückschlüsse darauf, wie gross die Anzahl der Schweizer Emigranten nach Bildungsstand ist. Zwischen 2000 und 2010 ist die Auswanderungsrate der Hochqualifizierten auf über 13 Prozent gestiegen. Das heisst: Jeder achte gut ausgebildete Schweizer wandert aus.
Quantitativ haben wir keine Probleme
Stefan Wolter, Leiter der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung, weist darauf hin, dass der Braindrain im akademischen Bereich bereits bekämpft werde. «Der Nationalfonds hat Programme, Schweizer Forscher wieder in die Schweiz zu bringen.» Gerade Erfolgreiche bräuchten zusätzliche Anreize, um auf eine Spitzenposition an einer Top-US-Uni zu verzichten. Er ist überzeugt: «Quantitativ haben wir kein Problem, die Leute wieder zurückzubringen, aber qualitativ schon. Was einmal mehr zeigt, dass wir zum Verständnis der Ein- und Auswanderungsströme mehr Informationen über die Personen bräuchten.»