Migros oder Bauernverband? Wer ist schuld an den hohen Lebensmittelpreisen?
55’000 Landwirtschaftsbetriebe, 8 Millionen Konsumenten, aber nur eine Handvoll Detailhändler: Die Bauern fühlen sich angesichts dieser Marktstruktur gegenüber den Abnehmern ihrer Produkte in der Defensive. Der SBV will sich nun besser organisieren, um den Detailhändlern in Zukunft die Stirn bieten zu können. Eine neue Koordinationsgruppe soll die Bauern besser vernetzen und den gemeinsamen Auftritt stärken. Das Ziel: mehr Verhandlungsmacht im Kampf um einen «fairen Anteil an den Konsumentenpreisen». Als Bauernverbandspräsident Markus Ritter am 14. Dezember die Zeitung aufschlug, traute er seinen Augen nicht: In der «Schweiz am Sonntag» warf Migros-Chef Herbert Bolliger den Landwirten vor, den Einkaufstourismus zu fördern, weil sie zu teuer produzierten. Der Angriff des mächtigen Handelspartners kam «aus heiterem Himmel», wie Ritter heute sagt. Kurz zuvor habe man sich noch getroffen und die aktuellen Herausforderungen besprochen – in bestem Einvernehmen, betont der CVP-Nationalrat. Keine Anzeichen von Konflikt, keine Spur von Unzufriedenheit seitens der Migros-Geschäftsleitung. Ritter erstaunt der Zeitpunkt von Bolligers Bauernschelte umso mehr, als die Migros «ein erfolgreiches Jahr mit steigenden Umsätzen und einer zuwanderungsbedingt grösseren Kundschaft hatte». Seit diesem medialen Angriff ist Feuer unter dem Dach des Bauernverbands (SBV). Nach einem offenen Brief an Bolliger folgte eine gepfefferte Jahresmedienkonferenz, in der Ritter zurückschlug: Verantwortlich für das hohe Preisniveau und damit letztlich für den Einkaufstourismus seien nicht die Bauern, sondern die Detailhändler – wegen der hohen Margen. Hinter dem Ruf nach tieferen Produzentenpreisen stünde der Wunsch nach noch höheren Margen.
Ritter schmettert mit allerlei Zahlen
«Die Schweizer Bauern erhalten immer weniger von dem, was die Konsumenten im Laden für ihre Produkte bezahlen. Selbst wenn sie ihre Tiere gratis abgeben würden, wäre das Fleisch in den Regalen der Detailhändler noch immer teurer als in Deutschland.» Zum Beispiel Schweinekoteletts: 2013 kostete ein Kilo im Laden 19.77 Franken. Die Bauern erhielten pro Kilo Schlachtschwein 4.58 Franken. In Deutschland mussten die Konsumenten gemäss Ritter dagegen umgerechnet nur 6.30 Franken berappen. «Auch wenn also die Migros den Bauern nichts bezahlen müsste, könnte sie die Koteletts nicht so günstig verkaufen wie die Detailhändler in Deutschland», so Ritter. Doch nicht nur beim Fleisch seien die Erträge für die Bauern gering: Für all ihre Produkte erhielten sie durchschnittlich nur 25 Rappen eines Konsumentenfrankens. Vor 25 Jahren seien es noch knapp 40 Rappen gewesen. Ritter sieht seinen Standpunkt durch den Bundesrat bestätigt. Dieser schrieb 2011 in einer Antwort auf ein Postulat: «Der Detailhandelspreis wird heute mehr von den Arbeitskosten, den Kosten für Infrastruktur und Vertrieb, den Marketingausgaben und den Energiekosten bestimmt als von den landwirtschaftlichen Rohstoffen, die nur noch etwa 20 Prozent des Endpreises ausmachen.
Bolliger hält Vorwurf für „völlig verfehlt“
«Die Migros braucht keine überhöhten Margen, weil sie hocheffizient arbeitet. Zudem verfolgen wir als Genossenschaft sehr marginale Gewinnziele und geben tiefere Beschaffungspreise in Form von tieferen Verkaufspreisen an die Kunden weiter.» Würde Ritter tatsächlich einmal gratis Schweine abliefern, könnte die Migros problemlos beweisen, dass die Verkaufspreise unter den EU-Preisen liegen würden, so Bolliger. Auch eine letztes Jahr erschienene Studie im Auftrag des Bundesamts für Landwirtschaft widerspricht Ritters Darstellung, wonach die Detailhändler höhere Margen zulasten der Bauern erzielten. «Insgesamt deuteten die Ergebnisse nicht darauf hin, dass die Margen der nachgelagerten Industrien – Verarbeitung und Handel – auf Kosten der Landwirtschaft gewachsen sind», resümiert Studienautor Werner Hediger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Chur. Sowohl die Produzentenpreise als auch die Preise der nachgelagerten Industrien hätten sich gleichläufig zueinander entwickelt. Ritter kann die Studienergebnisse nicht nachvollziehen. «Unsere Zahlen sagen etwas anderes. Vor 20 Jahren haben wir Bauern noch jährlich Produkte für 14 Milliarden Franken verkauft, heute nur noch für 10 Milliarden – trotz der Teuerung und trotz höherer Produktion. 4 Milliarden Franken wurden also nicht an die Konsumenten weitergegeben.»