Die Pädagogische Hochschule St. Gallen möchte Jugendliche zu mehr Zivilcourage ermutigen
Sie eröffnet eine Fachstelle für Demokratiebildung und Menschenrechte – im Gedenken an die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs. St. Gallen hatte Paul Grüninger. Der Polizeikommandant rettete kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs rund 3000 jüdischen Flüchtlingen das Leben, indem er sie entgegen den Weisungen aus Bern einreisen liess. Seit vergangenem Jahr erzählt neben Büchern, Dokumentationen und Theaterstücken auch ein Spielfilm von Grüningers Zivilcourage. St. Gallen war auch jener Ort, wo kurz vor Kriegsende über 4000 KZ-Häftlinge aus Theresienstadt, Bergen-Belsen, Ravensbrück und Mauthausen landeten, freigekauft oder freigelassen im Austausch gegen deutsche Kriegsgefangene. Die meisten von ihnen wurden im zur Notunterkunft umfunktionierten Schulhaus Hadwig gepflegt und vorsorgt, bevor sie weiterreisen konnten.
Just in diesem altehrwürdigen Schulgebäude neben dem St. Galler Olma-Messegelände befindet sich der Hauptsitz der Pädagogischen Hochschule St. Gallen (PHSG). Sie eröffnet am 70. Jahrestag des Kriegsendes mit einer öffentlichen Veranstaltung ihre neue Fachstelle Demokratiebildung und Menschenrechte. «Damit wollen wir», sagt Rektor Erwin Beck, «unseren Beitrag leisten für mehr Zivilcourage im gesellschaftlichen Leben». Es gehe darum, den Jugendlichen im Unterricht die Fähigkeit zu vermitteln, Ungerechtigkeit zu erkennen und ihnen Mut zu machen, etwas dagegen zu tun. Erwin Beck will, wie dies auch der Lehrplan 21 vorsieht, das politische Bewusstsein vermehrt schärfen, die Funktionsweise von Demokratien sowie Themen wie Menschenrechte und Ethik verstärkt zur Sprache bringen. Weitere Schwerpunkte der Fachstelle sind der Pluralismus sowie gesellschaftliche Ein- und Ausgrenzungsmechanismen.
Pädagogische Hochschule Zürich – der neue Partner
Die PHSG tut dies vor dem Hintergrund der Weltkriegsgeschehnisse in St. Gallen, ergänzend auch zur 1998 gegründeten Paul Grüninger Stiftung, die periodisch einen Preis für besondere Menschlichkeit und besonderen Mut ausrichtet. Beck zielt darauf ab, mit weiteren Pädagogischen Fachhochschulen und Universitäten zusammenzuarbeiten, so etwa mit dem Zentrum Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen der Pädagogischen Hochschule Luzern. Dieses hatte für den Spielfilm über Paul Grüninger umfassende Unterrichtsmaterialien erarbeitet. Ursprünglich war eine Kooperation der PHSG mit der Dr. Kurt-Bigler-Stiftung vorgesehen. Diese war auf Wunsch des 2007 verstorbenen Pädagogen und Holocaust-Überlebenden Kurt Bigler gegründet worden, um jährlich einen Preis für die Holocaust-Education auszurichten. Einer der Preisträger war der PHSG–Geschichtsdozent Edward Schlegel, zudem fanden mehrere Preisverleihungen in der Aula des Hadwig-Schulhauses statt. Nicht zuletzt lebt Stiftungspräsidentin Margrith Bigler-Eggenberger, die erste Bundesrichterin der Schweiz und Witwe Kurt Biglers, in St. Gallen. Bis 2013 war die Bigler-Stiftung an die psychosoziale Beratungsstelle für Holocaustüberlebende, Tamach, angegliedert. Nach deren Schliessung Ende 2013 sollte die Fachstelle der PHSG die Aktivitäten der Stiftung samt Preisverleihung fortführen. Dazu kommt es jedoch nicht. Stiftung und PHSG konnten letztlich keinen gemeinsamen Nenner finden. Erwin Beck erklärt dies mit der Ausrichtung der neuen Fachstelle, die nicht einseitig auf das Gedenken an den Holocaust fokussieren, sondern nach vorwärts schauen und sich mit Lehren aus der Geschichte beschäftigen will.
Die Bigler-Stiftung hat inzwischen in der Pädagogischen Hochschule Zürich einen neuen Partner gefunden und wird ihren Preis nach einem Jahr Unterbruch 2016 wieder ausrichten. In St. Gallen eröffnet die PSHG ihrerseits nicht nur die neue Fachstelle, sondern begleitet dies am Freitag mit der Vernissage einer Ausstellung mit exklusiven, teils noch nie gezeigten Bildern über den Aufenthalt der seinerzeit geretteten KZ-Häftlinge im Hadwig-Schulhaus. Ergänzt werden die Bilder durch historische Dokumente und Interviews mit noch lebenden Zeitzeugen.
Tijana Nikolic