Schweine mit genügend Platz, Kühe mit Auslauf und Hühner, denen der Schnabel nicht abgeschnitten wird: Schweizern liegt das Tierwohl am Herzen. Dies geben sie zumindest in Umfragen an
Die Realität sieht laut Agronomin Eveline Dudda aber anders aus. In der aktuellen Ausgabe des «Landwirtschaftlichen Informationsdienstes» schreibt sie: «Das Tierwohl zählt nur dann als Verkaufsargument, wenn es gleichzeitig günstig ist.» In der Schweiz gebe es zahlreiche Labels, die eine tierfreundlichere Produktion gewährleisten, als es die gesetzlichen Mindeststandards verlangen. Aber: «Die Konsumenten sind nur bedingt bereit, mehr Geld auszugeben.» Um zu sparen, kauften viele auch importiertes Fleisch, das nicht einmal die Mindestanforderungen des Schweizer Tierschutzgesetzes erfülle. Ein Blick auf die Verkaufszahlen der Grossverteiler zeigt: Bei Coop sind rund fünf Prozent der verkauften Fleischprodukte bio, 35 Prozent tragen das Label Naturafarm, das eine tierfreundliche Haltung garantieren soll. Die restlichen 60 Prozent entsprechen den Schweizer Minimal-Standards oder sind importiert.
Dem Tierschutz schaden
Auch Hans-Ulrich Huber vom Schweizer Tierschutz sieht eine Differenz zwischen Konsumentenwunsch und tatsächlichem Verhalten. «Schuld daran ist die Werbung», ist er überzeugt. «Die Grossverteiler und die Fleischwirtschaft bezeichnen Schweizer Fleisch per se als tierfreundlich.» Unter Tierwohl versteht Huber aber etwas anderes als das, was die Schweizer Mindestanforderungen verlangen. Tiere in konventioneller Haltung bekämen keinen Einstreu, hätten nicht zwingend Freilauf und lebten auch nicht in grossen Ställen. «Damit täuschen die Händler und die Fleischwirtschaft die Konsumenten. Und sie schaden dem Tierschutz und jenen Bauern, die über den Mindeststandard hinaus produzieren.» Marcel Portmann, Mediensprecher der Branchenorganisation Proviande, wehrt sich gegen die Kritik: «Die Schweizer Standards bei der Tierhaltung sind sehr hoch und gegenüber dem Ausland viel weiter entwickelt.» Zudem beteiligten sich die Bauern freiwillig an Programmen, die eine tierfreundliche Stallhaltung und regelmässigen Auslauf im Freien garantierten. «Schweizer Fleisch ist bei konventionellen wie auch bei Labelprodukten nicht nur eine Frage des guten Geschmacks, sondern auch des guten Gewissens», so Portmann. Auch die Grossverteiler betonen, die Nachfrage nach Fleisch aus tierfreundlicher Produktion sei hoch: «Obwohl die Migros im Bereich Fleisch den Einkaufstourismus spürt, geht der Umsatz mit den Labels nicht zurück», schreibt die Migros auf Anfrage. Das gesamte importierte Fleisch soll zudem bis 2020 auf die Schweizer Mindest-Tierschutzvorschriften umgestellt werden. Ebenso bei Coop: «Bei gewissen Tiergattungen ist die Nachfrage grösser als das Angebot, weshalb ein Teil unseres Fleisches aus dem Ausland stammt.» Coop habe sich deshalb zum Ziel gesetzt, dass auch ausländische Produzenten die Schweizer Tierschutzanforderungen einhalten.
T.N.