Das Unrecht, das die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen erlitten haben, soll anerkannt und wieder gutgemacht werden
Vor 1981 wurden in der Schweiz zahlreiche Kinder, Jugendliche aber vereinzelt auch Erwachsene einer fürsorgerischen Zwangsmassnahme unterzogen oder fremdplatziert. Zu den Betroffenen zählen etwa Verdingkinder, Heimkinder, administrativ Versorgte, Fahrende und Personen, die zu einer Abtreibung oder einer Sterilisierung gezwungen worden sind. Der Bundesrat hat dazu letzte Woche die Vernehmlassungsergebnisse zur Kenntnis genommen und die Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG) verabschiedet. Das neue Bundesgesetz sieht eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung vor und einen Solidaritätsbeitrag von insgesamt 300 Millionen Franken zugunsten der Opfer. Im April 2013 hat sich Bundesrätin Simonetta Sommaruga im Namen des Bundesrates an einem Gedenkanlass in Bern bei den Betroffenen für das geschehene Unrecht entschuldigt. Parallel dazu hat das Parlament eine Gesetzesvorlage zur Rehabilitierung administrativ versorgter Menschen erarbeitet und im März 2014 verabschiedet.
Im Dezember 2014 wurde die “Wiedergutmachungsinitiative” eingereicht. Im Januar 2015 hat der Bundesrat beschlossen, dieser Volksinitiative einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber zu stellen, der rascher Hilfe leisten kann. Diesen Entwurf zu einem Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 hat der Bundesrat nun zuhanden des Parlaments verabschiedet.
Solidaritätsbeiträge von insgesamt 300 Millionen Franken
Der Bundesrat möchte, dass die schätzungsweise 12 000 bis 15 000 noch lebenden Opfer finanzielle Leistungen, sogenannte Solidaritätsbeiträge von insgesamt 300 Millionen Franken erhalten können. Diese sollen durch den Bund und durch freiwillige Zuwendungen der Kantone finanziert werden. Weiter soll das neue Bundesgesetz das geschehene Unrecht gesetzlich anerkennen sowie die Akten sichern und die Akteneinsicht für die Betroffenen regeln. Zudem soll ein nationales Forschungsprogramm die umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung ermöglichen. Dies als Erweiterung der Arbeiten der bereits bestehenden unabhängigen Expertenkommission für die Aufarbeitung der administrativen Versorgungen. Viele Opfer sind heute bereits in fortgeschrittenem Alter. Die Zeit für die Aufarbeitung drängt. Ein indirekter Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe ermöglicht es, die Geschehnisse rascher als auf dem Weg über eine Verfassungsrevision aufzuarbeiten. Auf diese Weise können möglichst viele Opfer, die aufgrund des ihnen widerfahrenen Unrechts in vielen Fällen auch finanzielle Nachteile erlitten haben, die Anerkennung des Unrechts und die gesellschaftliche Solidarität noch erleben. Deshalb beantragt der Bundesrat dem Parlament, die Wiedergutmachungsinitiative Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen und dem indirekten Gegenentwurf zuzustimmen.
Tijana Nikolic
foto: wiedergutmachung.ch