Weil Teenager sich mit codeinhaltigem Sirup zu dröhnen, verweigern ihnen Tessiner Apotheken den Kauf. Eine Alternative ist bereits gefunden
Hustensirup mit Codein ist bei Jungen ein beliebtes Rauschmittel. Sie mischen den Saft mit Alkohol oder Süssgetränken wie beispielsweise Sprite – daher auch der Name Dirty Sprite, der ursprünglich aus den USA stammt. In der Schweiz nennt sich der Mix auch Maka, weil dafür meist der Hustensaft Makatussin verwendet wird. Der Konsum von codeinhaltigem Sirup ist gefährlich: Einerseits entstehen schnell Entzugserscheinungen wie Schmerzen, Krämpfe und Übelkeit. Ein Entzug von Codein kann sogar schmerzhafter und länger als ein Heroinentzug sein. Andererseits kann der Stoff mit Alkohol kombiniert zum Tod führen Dies weil beide Mittel dämpfend auf die Körperfunktionen wirken. Hoch dosiert können sie einen Atemstillstand verursachen. Wer über längere Zeit codeinhaltigen Hustensaft konsumiert, dem drohen zudem Libidoverlust und Unfruchtbarkeit.
Gefälschte Identitätskarten
Meist sind es junge Männer, die mit einer Ausrede in die Apotheke kommen: Der Saft sei für die Grossmutter oder den Onkel. Sobald man allerdings eine codeinfreie Alternative vorschlägt, gehen die Jugendlichen wieder. In der Apotheke Cattaneo in Lugano versuchen bis zu sieben Minderjährige pro Woche, auf diese Weise an Makatussin zu kommen. «Besonders viele Anfragen bekommen wir im Sommer, vor Feiertagen oder am Wochenende», heisst es auch bei der Farmacia Centrale di Chiasso. Einige Apotheker haben das Mittel deshalb komplett aus dem Sortiment genommen. So auch Andrea Zamboni in Ascona: «Viele Jugendliche wollten bei mir Makatussin kaufen – es war aber offensichtlich, dass sie keinen Husten hatten» Diese Dreistigkeit der Jungen sei neu für ihn. «Nicht nur, dass sie mir direkt ins Gesicht lügen, sie zeigen sogar gefälschte Identitätskarten und erfinden irgendeinen Namen eines Arztes» Er habe deshalb entschieden, den Sirup gar nicht mehr zu verkaufen. «Ich will mir nicht die Hände schmutzig machen, so bin ich auf der sicheren Seite», sagt Zamboni.
Verdächtige erkennen, denn Missbrauch ist tödlich
Ennio Balmelli, Sprecher des kantonalen Apothekerverbands, sagt: «Der Trend ist bei uns erst vor Kurzem angekommen – wohl aus Italien.» Dort bekommt man den Sirup nur mit Rezept, in der Schweiz gilt diese Einschränkung nicht. Deswegen liegt es am Apotheker selbst, einzuschätzen, ob ein Minderjähriger verdächtig wirkt. Wie man mit Jugendlichen umgehe, die Makatussin verlangten, sei jedem selbst überlassen, so Balmelli. «Wichtig ist einfach, dass man einen potenziellen Missbrauch verhindert». Dies ist nicht immer einfach: Der Apotheker muss dem Kunden einen Grund nennen, weshalb er ihm etwas nicht verkaufen will. «Wenn ein Teenager für seinen Vater Makatussin verlangt, kann ich ihm das nicht verweigern», so Balmelli. Dies sei erst nach unüblich vielen Käufen innert kurzer Zeit möglich. In der Deutschschweiz ist der Missbrauch von codeinhaltigen Hustensäften bereits seit Längerem ein Thema, wie Stephanie Balliana-Rohrer, Sprecherin des Schweizer Apothekenverbands Pharmasuisse, bestätigt. Viele Junge sind hier aber bereits auf ein neues Rauschmittel umgestiegen: «Weniger bekannt, aber nicht minder problematisch ist der Missbrauch von Hustenmitteln mit Dextromethorphan.» Dies bestätigt auch Christine Rauber, leitende Ärztin bei Toxinfo Suisse. Der Wirkstoff Dextromethorphan führt ab etwa 100 Milligramm zu Euphorie, Halluzinationen und Dissoziation – dabei befindet sich der Betroffene ausserhalb seines Körpers und kann sich selbst betrachten. Rauber: «Bei einer erheblichen Überdosierung folgen jedoch Koma, Atemdepression und epileptische Krampfanfälle. Im schlimmsten Fall endet dies tödlich.»
Schon länger ein Thema
Denn der Konsum kann gravierende Folgen haben. «Das Suchtpotential ist hoch. Nimmt man den Stoff nach längerem Konsum nicht mehr zu sich, folgen Entzugserscheinungen wie Schmerzen, Krämpfe und Übelkeit», sagt Christian Kobel, Bereichsleiter der Jugendberatung Streetwork, die das Drogen-Informationsportal Saferparty.ch betreibt. Dort wird gewarnt: Ein Entzug von Codein könne schmerzhafter und länger als ein Heroinentzug sein. Doch bereits ein einmaliger Konsum birgt Risiken. «Wer gleichzeitig Alkohol trinkt, kann im schlimmsten Fall daran sterben», so Kobel. Beide Stoffe wirkten dämpfend auf die Körperfunktionen. Hoch dosiert könnten sie einen Atemstillstand verursachen. Wer die Stoffe über eine längere Dauer zu sich nimmt, dem drohen ausserdem Libidoverlust und Unfruchtbarkeit.
Eine gesetzliche Regelung darüber, wie Apotheker vorgehen sollen, gibt es nicht. «Da das Missbrauchspotenzial solcher Präparate hoch ist, werden entsprechende Nachfragen von Seiten Jugendlicher aber hinterfragt und oft abgelehnt», sagt Stephanie Rohrer vom Schweizer Apothekerverband Pharmasuisse. Für Grossrätin Linder steht fest: «Es braucht eine klare Rezeptpflicht für solche Präparate. Denn die Gefahr einer Abhängigkeit und gefährlicher Nebenwirkungen ist zu gross.» Derselben Meinung ist eine Mitarbeiterin einer Apotheke beim Bahnhof Basel, wo ebenfalls vermehrt Teenager mit angeblichem Husten auftauchen: «Es würde uns die Arbeit vereinfachen, wenn es klare gesetzliche Bestimmungen gäbe.» Aktuell müssten sie bei jedem Kunden selber abschätzen, ob eine Missbrauchsgefahr bestehen könnte. «Das erscheint mir gerade bei Jugendlichen zu riskant.» Zahlen zum Konsum von «Dirty Sprite» gibt es keine. Suchtfachmann von Arx vermutet, dass besonders sehr junge Jugendliche die Medizin-Mix-Getränke ausprobieren wollen. «Den meisten wird es irgendwann aber zu aufwändig und jene, die sich berauschen wollen, machen dies dann eher mit Alkohol und Cannabis.» Silvan selber hat laut eigenen Angaben nach einmaligem Testen die Finger vom Hustensaft gelassen. «Die Gefahr, abhängig zu werden, ist mir zu gross.»