Junge Schweizer interessieren sich für aktuell sehr für geistige Heilung, Tierkom-munikation und Wahrsagerei
Dass sich die Organisation Ayahuasca International in der Romandie niedergelassen hat und nun öffentlich für Drogenrituale wirbt, alarmiert Suchtexperten. Doch nicht nur die Amazonas-Droge fasziniert die Schweizer.
Die Hinwendung zur Spiritualität allgemein erlebt hierzulande ein Revival – vor allem bei den Jungen. Der Trend funktioniert aber anders als früher, wie Sektenexperte und Religionswissenschaftler Georg Otto Schmid sagt: «Sie interessieren sich im Gegensatz zu den 80er- und 90er-Jahren weniger für die Ideologie oder die Theorie dahinter, sondern greifen nur punktuell auf gewisse Angebote der Esoterik zurück.»
Besonders beliebt seien Themen wie Heilung, Alternativmedizin, Wahrsagerei, Tierkommunikation und Jenseitskontakte.
Lucius Werthmüller ist Präsident des Basler Psi-Vereins, der Seminare rund um das Thema Spiritualität organisiert. Er sieht an seinen Veranstaltungen immer mehr junge Leute: «Viele finden in den etablierten Religionen keine Antwort mehr auf ihre Fragen und suchen nun woanders.»
Schmid sieht noch einen anderen Ansatz: «Es geht den jungen Erwachsenen hauptsächlich darum, auf effektive Weise konkrete Probleme zu lösen», sagt auch Schmid. Dabei könne man säkular, atheistisch, buddhistisch oder auch gemässigt religiös sein. «Esoterik wird heute einfach mit allem verbunden», so Schmid. Man bediene sich aller möglichen Optionen, bis man etwas gefunden habe, das Wirkung zeige.
Der Neo-Schamanismus ist extrem trendy
«Macht der Hund Probleme, geht man zum Tierarzt. Hilft eine medizinische Behandlung nicht, schaut man sich weiter um. Wenn man dann jemanden findet, der einem sagt, er könne Botschaften zwischen dem Tier und der Besitzer übermitteln, dann kann das attraktiv wirken», so Schmid.
Ähnlich gingen Junge beispielsweise auch mit ihrer Trauer um. «Bringt der Besuch beim Psychologen nichts, geht man zu einem Medium, um Kontakt mit dem Verstorbenen aufzunehmen», sagt Werthmüller. Ein weiterer Boom unter der jüngeren Generation erlebt derzeit auch der Schamanismus oder Neo-Schamanismus. Dies bestätigen sowohl Schmid und Werthmüller als auch mehrere Schamanen auf Anfrage. Teo Timoteo, Schamane, Heiler und Medizinmann, sagt beispielsweise: «In den letzten Jahren bekomme ich viel häufiger als früher Anfragen von 20- bis 30-Jährigen.» Ihre Probleme drehten sich meist um Liebe, Job und Gesundheit. Vor allem Letzteres sei seit Kurzem ein wichtiges Thema, das die Jungen zu beschäftigen scheine.
Auch Schmid sagt, der ganze Gesundheitswahn spiele der Esoterik und dem Schamanismus in die Hände. «Die heutige Jugend legt grossen Wert auf gesunde Ernährung, Sport und Ausgeglichenheit.» Was ein gesünderes Leben verspricht, wird gerne getestet. Das Thema spirituelle Heilung laufe deshalb bei den Jungen mit Abstand am besten, so auch Wertmüller. Schamanismus ist laut Schmid aber auch deshalb «extrem trendy, weil viele junge Menschen sich wieder mit der Natur in Verbindung setzen wollen».
Seit 2000 sei dies sehr viel populärer geworden. Etliche Anbieter hätten sogar von der Esoterik auf Schamanismus umgesattelt.«Es hat etwas Traditionelles, Frisches und Unverbrauchtes und es wird mit Naturvölkern assoziiert», so Schmid.
Es geht um die Selbstverwirklichung
Der globalisierte, urbane Mensch sehne sich nach der Natur und den eigenen Wurzeln. «Sich zurückzuziehen ins eigene Zimmer, auf seiner Schamanentrommel zu spielen, bis man in Trance gerät, und dann durch geistige Welten zu reisen, ist gerade für junge Menschen eine reizvolle Vorstellung.» Werthmüller stimmt zu: «Sie wollen zurück zu ihren Ursprüngen.» Werthmüller glaubt, dass die Entwicklung hin zum Schamanismus zudem mit einer Sinnsuche zu tun habe: «Viele verlieren sich in der Unendlichkeit der heutigen Möglichkeiten.» Alte Traditionen hätten etwas Tröstliches. Weiter begeistere auch der amerikanische Trend, der sich rund um die Themen Erfolg und Potenzial-Entfaltung drehe, die Jungen. «Am Schluss geht es ihnen um Selbstverwirklichung.» Jeder stelle sich seine eigene Philosophie zusammen.
«Eine Prise indische Kultur, ein bisschen Yoga, ein wenig amerikanische Erfolgsstrategie und am liebsten noch ein Stückchen Buddhismus. Der ist auch äusserst populär derzeit.» Gefährlich werde dieser Trend einzig für Menschen, die sich zuvor nicht richtig über den Anbieter informierten. Diese riskierten, abgezockt zu werden, sagt Schmid. «Viele unseriöse Anbieter nutzen das derzeitige Interesse an der Esoterik aus.» Und sobald Drogen ins Spiel kämen– beispielsweise, um ausserkörperliche Erfahrungen zu machen – werde es heikel. Vor allem Naturdrogen seien riskant. «Davon sollte man schlicht die Finger lassen.»
Tijana Nikolic