Die SBB und die Hochschule Luzern haben zusammen ein Pilotprojekt entwickelt. Im neu gegründeten Informatik-Departement auf dem Campus Zug-Rotkreuz beginnen die Vorlesungen erst ab 9 Uhr und enden spätestens um 20.55 Uhr
Durch spätere Schulzeiten soll es während der Hauptverkehrszeiten mehr Sitzplätze in den Zügen geben. Die Informatik-Studenten der Hochschule Luzern müssen nun erst später auf den Zug. Josef Stocker, Geschäftsleitungsmitglied des Verbands der Schweizer Studierendenschaften, bezeichnet das Projekt als interessanten Versuch. «Vor allem die Pendler unter den Studierenden wird das wohl freuen.» Im Zug mehr Platz zu haben sei natürlich eine sehr willkommene Sache. Dass gewisse Vorlesungen auch bis um 20.55 Uhr dauern, könne aber zu Problemen führen, so Stocker. «In einem Vollzeitstudium darf das sicher nicht regelmässig vorkommen. Das würde ein soziales Leben unter der Woche ja verunmöglichen. Viele Studierende seien an den Abenden ausserdem auch in Vereinen oder sportlich aktiv. «Oder sie haben Nebenjobs, beispielsweise im Gastrobereich.»
Soziales Leben findet immer später statt
Für Micha Gross, Leiter des Zentrums für Schlafmedizin Fluntern, sind die neuen Vorlesungszeiten auch in Bezug auf die körperliche Befindlichkeit der Studenten keine schlechte Idee. «Viele Jugendliche oder junge Erwachsene haben mehr Mühe, sich am Morgen zu konzentrieren.» Denn das soziale Leben der jungen Erwachsenen finde immer später statt. «Und dadurch verändern sich auch ihre Schlafgewohnheiten.» Gernot Kostorz, Generalsekretär der Vereinigung der Schweizerischen Hochschul-dozierenden, sagt: «Eine Entlastung des öffentlichen Verkehrs zu Spitzenzeiten ist aus gesamtgesellschaftlichen Gründen sehr empfehlenswert.» Wichtig sei aber, dass die Stundenpläne nicht zu brutal abgeändert würden. Ausserdem sollte bei Seminaren mit einer geringen Anzahl Studenten auch auf die persönliche Situation der Dozierenden und der Teilnehmenden geachtet werden. «Hat ein Dozent beispielsweise eine Familie, möchte er eventuell am Abend beizeiten zu Hause sein, um mit ihr das Abendessen zu geniessen. Es sollte möglich sein, Ausnahmen zu gewähren.»
Studierende mit Kindern
Auch Irene Kriesi, Soziologin am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung, stellt sich die Frage, ob die neuen Vorlesungszeiten mit anderen Lebensbereichen kompatibel sind. «Wenn die Freunde ausbildungs- oder arbeitsbedingt einen komplett anderen Rhythmus haben und um 23 Uhr im Bett sein möchten, kann das späte Ende einer Vorlesung die Möglichkeiten für soziale Kontakte einschränken.» Bei Studierenden mit Kindern gebe es weitere Fragen: «Sind die neuen Vorlesungszeiten kompatibel mit den Arbeitszeiten des Partners? Oder den Öffnungszeiten der Krippe?» Und auch der Einkauf oder der Gang zur Post müsse dadurch überdacht werden. Es stelle sich die Frage: «Sind die Vorteile der neuen Vorlesungszeiten gross genug, damit sie die Nachteile aufheben?»
T.N.