31 Prozent der Mediennutzer in der Schweiz nehmen sich nur wenig Zeit, um sich über das Weltgeschehen zu informieren. Und wenn sie es tun, nutzen sie Gratisangebote oder Social-Media-Kanäle
Das macht diese Konsumentengruppe möglicherweise empfänglicher für Populismus. Dabei handelt es sich um News, die das Ziel haben, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen im Hinblick auf Wahlen beispielsweise zu gewinnen. Diese Befürchtung hegen die Autoren des “Jahrbuch Qualität der Medien”, das am Donnerstag in Bern vorgestellt wurde. Personen, die sich auf diese Weise informieren, werden in der Untersuchung als “News-Deprivierte” bezeichnet. Deprivation steht für Mangel – in diesem Fall für den mangelhaften Konsum qualitativ hochwertiger Medien. Mit 31 Prozent des Schweizer Medienpublikums bildet diese Gruppe inzwischen sogar die grösste Nutzergruppe überhaupt. 2009 lag ihr Anteil noch bei 21 Prozent. Er hat innert sieben Jahren um 10 Prozentpunkte zugelegt. Zu dieser Nutzergruppe zählen laut den Autoren vor allem junge Erwachsene unter 30 Jahren sowie Frauen. Höhere Bildungsabschlüsse sind bei dieser Gruppe selten.
Katastrophen, Kriesen und Skandale
Die “News-Deprivierten” seien durch ihr Informationsverhalten “extrem unterversorgt mit News”, kommen die Jahrbuch-Verfasser zum Schluss. Sie nähmen vor allem Katastrophen, Krisen und Skandale wahr. Politische Themen, insbesondere die schweizerische Tagespolitik, verfolgten sie nicht. Dies mache sie anfälliger für verkürzte und vereinfachte Erklärungen des Weltgeschehens und daher auch für Populismus, sagte Mark Eisenegger vom Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (fög). Die Gratiskultur im Medienbereich verschärfe diesen Trend noch. Sie sei für die Demokratie schädlich.
Und auch Social Media unterstützt aus Sicht des Forschers die Desinformation. “Die Desinformation schreitet wie verrückt voran”, sagte Eisenegger. “Millionenfach werden Lügen verbreitet und geliked.”
Als “tröstlich” bezeichnen die fög-Forscher demgegenüber die Tatsache, dass junge Erwachsene qualitativ hochwertige Medien zwar weniger nutzten als ältere Menschen, aber dennoch durchaus “um die Bedeutung des professionellen ‘Informationsjournalismus’ für Gesellschaft und Demokratie” wüssten.
Immer mehr verbreitete Desinformation
Social Media sind in der Schweiz bereits für fast einen Viertel (22 Prozent) der 18- bis 24-Jährigen die Hauptquelle für News. Diese Kanäle dienen längst nicht nur der Desinformation, sondern auch als beliebte Kanäle zur Weiterverbreitung von Inhalten der traditionellen Medienanbieter. Dies verschafft den Anbietern einerseits eine zusätzliche Reichweite; gleichzeitig verlieren sie dabei teilweise die Kontrolle über die Weiterverbreitung ihrer Beiträge. Zudem werden im sozialen Netz die Medienmarken der traditionellen Newsanbieter eher geschwächt.
Wie die “News-Deprivierten” schneiden auch die “Global Surfer”, welche 21 Prozent des Medienpublikums ausmachen, in der Qualitätsbilanz relativ schlecht ab.
Regionale und nationale Themen nimmt diese Gruppe nicht wahr. “Diese gut ausgebildeten Berufstätigen, von denen viele einen Migrationshintergrund aus den westlichen Zentrumsnationen haben, nehmen so an den gesellschaftlichen Debatten der Schweiz nur wenig Anteil”, heisst es dazu im Jahrbuch des fög.
Schwierige Finanzierungslage für Informationsjournalismus
Auf der gegenüberliegenden Seite des Spektrums finden sich die “Intensivnutzer”, welche auf mehrere Zeitungen und Onlineprodukte zurückgreifen. Zu ihnen zählen tendenziell eher Männer mit hohem Bildungsgrad. Diese Gruppe wird seit 2009 kleiner – sie macht noch 11 Prozent des Publikums aus. Diese Entwicklung führt zu einer “schwierigen Finanzierungslage des ‘Informationsjournalismus'”, halten die Jahrbuch-Verfasser fest. “Über die Hälfte der Schweizer Medienkonsumenten bezahlt bereits heute nichts mehr für Zeitungen.” Und im Online-Bereich liege die Zahlungsbereitschaft noch tiefer – lediglich zehn Prozent der Befragten haben im vergangenen Jahr für digitale News bezahlt.
Doch die Befunde der Forscher fallen nicht nur negativ aus. Zusätzlich zum Jahrbuch hat das Forschungsinstitut fög in einer Studie festgestellt, dass das Vertrauen ins Schweizer Mediensystem im internationalen Ländervergleich weiterhin hoch sei. Einen entscheidenden Einfluss auf das Medienvertrauen hat demnach das individuelle Nutzungsverhalten. So wirke sich die Nutzung des öffentlichen Rundfunks besonders positiv aus. Ein starker Service Public stärke das Vertrauen der Mediennutzer in die Medien und erhöhe ihre Zahlungsbereitschaft, kommen die Autoren zum Schluss. Umgekehrt gehe Vertrauen verloren, wenn News vor allem via Social Media oder Gratiszeitungen konsumiert werde. Gerade junge Erwachsene seien gegenüber dem Mediensystem besonders misstrauisch.
Tijana Nikolic