Burnouts, Krankheiten und Frust: Immer häufiger macht der eigene Beruf Lehrerinnen und Lehrer krank. Selbst Polizisten fühlen sich durch ihre Arbeit weniger stark belastet
Der Lehrerverband fordert deshalb einen besseren Gesundheitsschutz, damit Lehrpersonen langfristig gesund und motiviert bleiben. 70 Prozent der Deutschschweizer Lehrerinnen und Lehrer arbeiten Teilzeit, ein Drittel davon aus gesundheitsrelevanten Gründen. In der Romandie haben in den letzten fünf Jahren vier von zehn Lehrpersonen aus gesundheitlichen Gründen ihr Pensum reduziert. Erkrankungen von Lehrern aus beruflichen Gründen führen jährlich zu Kosten von rund 38 Millionen Franken.
Mehr Ressourcen für Gesundheitsmanagement an Schulen
Das sind die Ergebnisse aus einer Reihe von Studien, die vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer (LCH) und seinem Westschweizer Pendant SER in Auftrag gegeben wurden. Am Schweizer Bildungstag haben die Verbände am Donnerstag in Bern ein Positionspapier mit vier Forderungen präsentiert. Schulen müssten mehr Ressourcen für das Gesundheitsmanagement erhalten. Ist eine Lehrperson gesundheitlich beeinträchtigt, fordern die Verbände bessere Unterstützungsangebote. Zudem gelte es, den Berufsauftrag mit den verfügbaren Ressourcen in Einklang zu bringen und Schulbauten den Gesundheitsnormen anzupassen. Die Unterrichtsformen sind viel anspruchsvoller geworden, und das Verhalten der Kinder hat sich stark verändert», sagt Brühlmann, Geschäftsleitungsmitglied des Schweizerischen Lehrerverbands. Auch ist die Liste der jüngsten Reformen lang: Zusätzlicher Fremdsprachen-unterricht in der Primarschule, die Integration von Sonderschülern in Regelklassen, das Schulharmonisierungs-konkordat Harmos oder der neue Lehrplan 21 sind nur ein paar Beispiele. Immer wieder reagieren Lehrkräfte auf die verschiedenen Herausforderungen ihres Berufs mit Erschöpfung und sind ausgebrannt, lassen sich deswegen krankschreiben. «Burn-out» steht dann häufig auf dem ärztlichen Attest.
Sechs von zehn Lehrpersonen betroffen
Es brauche rasch Massnahmen, um die Gesundheit der Lehrpersonen zu verbessern, sagte SER-Präsident Samuel Rohrbach gemäss Mitteilung. “Mehr als sechs von zehn Lehrpersonen sind der Ansicht, ihr Gesundheitszustand habe sich in den letzten fünf Jahren verschlechtert.”
Gesundheitsminister Alain Berset erklärte in seiner Rede, der Erfolg der Schweiz beruhe ganz wesentlich auf ihrem Bildungssystem. Die Gesundheit der Lehrer habe dabei eine grosse Bedeutung. “Wer den hohen Stellenwert der Bildung anerkennt, muss dafür sorgen, dass die Lehrerinnen und Lehrer gesund bleiben.” Die Belastung zeigt sich auch bei den körperlichen Beschwerden: Jede vierte Klassenlehrkraft berichtet von einer «Erschöpfung und Energielosigkeit», beim Verwaltungspersonal beträgt dieser Anteil knapp 17 Prozent. Frey rechnet vor: «Hochgerechnet fühlen sich 10 Prozent von rund 2000 Klassenlehrkräften in Zürich nach der Arbeit ausgelaugt und psychisch stark belastet. Wenn man davon ausgeht, dass jeder dieser 200 Lehrer eine Klasse à 20 Schüler unterrichtet, dann werden allein in Zürich 4000 Kinder von solchen Lehrkräften unterrichtet.»
Frühzeitig und offen
darüber sprechen
Nicht alle Lehrer sind im gleichen Masse Burn-out-anfällig. «Wer seinen Beruf begeistert ausübt und sich sehr stark engagiert, ist auch stärker gefährdet, auszubrennen», sagt Mediziner Daniel Frey, der in Zürich über 1000 Klassenlehrkräfte zu dem Thema befragt hat. «Das Ausbrennen ist ein Mythos», sagt hingegen der Berner Erziehungswissenschaftler Alexander Wettstein. Er hat aktuelle Studien ausgewertet und folgert daraus: Engagierte und begeisterungsfähige Lehrpersonen blieben eher gesund. Gegen den Mythos des Ausbrennens spreche auch der Befund einer neuen Erhebung aus Deutschland: Demnach wies ein Viertel der Lehramtsstudierenden bereits vor dem ersten Arbeitstag an einer Schule ein Burn-out-Muster auf. Es stelle sich deshalb die Frage, ob der Lehrberuf überdurchschnittlich oft Personen mit Vorbelastungen anziehe, schreiben die Autoren. Einig sind sich Frey und Wettstein darin, wie Burn-out-Syndrome vermieden werden können: Voraussetzung sei ein gutes Lehrerkollegium, in dem Probleme frühzeitig und offen angesprochen werden könnten.
Via Anwalt Noten verbessern
Die Umstände, die Lehrer stark belasten und im Extremfall zum Burn-out führen, sind vielfältig: Schwierige Schüler mit teils sehr unterschiedlichen Fähigkeiten, fordernde Eltern, bürokratische Arbeitslast, zu viele Reformen, Führungsprobleme, Teamkonflikte, fehlende Wertschätzung, hoher Lärmpegel oder schlechte Luftqualität gehören zu den meistgenannten. «Lehrpersonen sind ständig exponiert», sagt Beatrice Kronenberg, die sich als Direktorin des Schweizer Zentrums für Heil- und Sonderpädagogik intensiv mit dem Thema beschäftigt. Gerade Heilpädagogen sind nach bisherigen Erkenntnissen der Wissenschaft stark vom Burn-out-Syndrom betroffen. Im Juli widmet sich die Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik dem Thema. «Heute meinen Kinder, Eltern und Behörden zu wissen, was eine gute Lehrperson ist», sagt Kronenberg. Verschärft werde das Exponiertsein noch durch die sozialen Netzwerke: «Zufällig» werde ein Brief gescannt und verbreitet oder die ganze Welt erfahre, was eine Lehrperson einem Schüler per SMS kommuniziert habe. Es komme auch immer öfter vor, dass Eltern zum Anwalt gingen, wenn die Noten nicht ihren Vorstellungen entsprächen. Lehrpersonen seien auch oft die Ersten, die Probleme wahrnähmen wie häusliche Gewalt, Essstörungen, psychische Erkrankungen oder Mobbing. Sie funktionierten quasi als Frühwarnsystem.
Tijana Nikolic