Kunden erscheinen zu Terminen zunehmend unpünktlich oder lassen diese ohne Absage schlittern. Das verärgert Dienstleister
Zum wiederholten Mal musste sich Coiffeuse P. Z.* am Samstag den Feierabend um 16 Uhr abschminken. «Eine Kundin, die im Stau steckte, rief an, ob ich nicht noch eine halbe Stunde warten könnte», berichtet die Coiffeuse aufgebracht. Ständig müsse sie Extraschichten einlegen, weil Kunden im Stau gesteckt hätten oder sich der Zug verspätet habe. Für solche Verspätungen hat die Angestellte eines Zürcher Salons kein Verständnis. Um pünktlich zu einem Termin zu erscheinen, sei es nur höflich, so früh wie möglich zu Hause loszufahren. «Ich selber nehme ja auch zwei Züge früher, wenn ich einen Zahnarzttermin vereinbart habe.», wie 20 Minuten berichtet.
Die Tugend bröckelt
Im Ausland wird die Schweiz als Land des präzisen Uhrwerks und der Pünktlichkeit hochgelobt. Inzwischen bröckelt diese Tugend aber zunehmend, wie Dienstleister in anderen Branchen beobachten. «Bei uns sind viele Kunden unpünktlich oder erscheinen ohne vorgängige Absage schon gar nicht zum vereinbarten Termin», sagt Diana Spanjevic, Rezeptionistin in der Zahnarztpraxis Zurich Dental. Pro Monat würden rund 20 Termine nicht wie abgemacht wahrgenommen. Kunden, die beim zweiten Mal nicht 24 Stunden vorher absagen, bezahlen 50 Prozent der Leistung, beim dritten Mal 100 Prozent.
Viele telefonisch nicht erreichbar
Das Verhalten solcher Kunden sei mühsam, sagt Spanjevic. «Fragen wir nach, erfahren wir, dass die Kunden den Termin einfach vergessen haben, sie länger arbeiteten und den Termin einfach schlittern liessen, krank oder in den Ferien sind.» Manche Kunden erreichten sie telefonisch nicht. «Ihre Nummern sind nicht mehr aktiv, weil sie diese wechselten und uns nicht darüber informierten.» Früher hätten die Kunden mehr Wert auf Respekt gelegt und die Termine deshalb nur in Ausnahmesituationen nicht eingehalten.
Ähnlich auch in der Gastrobranche
Ähnliche Erfahrungen machen die Angestellten des Restaurants Clouds in Zürich. «Pro Monat gehen bei uns 30 bis 40 Tischreservationen ein, die von Gästen nicht wahrgenommen werden», sagt Rezeptionistin Corina Wettstein. «Solche Reservationen sind mühsam, weil wir die Tische zum Beispiel am späteren Abend nicht mehr neu besetzen können.» Sie wünsche sich, dass die Gäste wenigstens kurz anriefen und ihre Verspätung oder Absage mitteilten. «Denn oft müssen wir anrufen und erfahren, dass der Gast die Reservation vergessen hat oder nicht mehr kommen will, weil die Begleitung kurzfristig krank geworden ist.»
Zeitautonomie ist auch Angestellten immer wichtiger
Auch Angestellte wollen immer weniger nach einer bestimmten Uhr ticken. «Arbeitgeber, die Stellen mit festen Arbeitszeiten ausschreiben, wenn diese nicht unbedingt nötig sind, ziehen heute keine Bewerber mehr an», sagt Personalexperte Matthias Mölleney. Zeitautonomie sei heute vielen Angestellten wichtig. «Angestellte wollen nicht, dass über sie bestimmt wird und sie etwa den Chef fragen müssen, ob sie ihr Kind früher von der Krippe abholen können.» Müssten sie nicht mehr zu einem vorgegebenen Zeitpunkt zur Arbeit erscheinen, falle ein grosser Stressfaktor weg.
Pünktlichkeit bei Bewerbungsgesprächen
Geht es um Vorstellungsgespräche, unterwerfen sich Bewerber hingegen ohne Widerstände den Terminen. Bei ihnen komme selten jemand zu spät, sagt Daniel Trottmann, Niederlasungsleiter bei der Manpower AG in Zürich. «Einen Zahnarzttermin kann man jederzeit nachholen, ein Jobangebot hingegen nicht.»
«Schüler wollen lieber pünktlich sein»
Schulen wirken unpünktlichen Schülern mit verschiedenen Massnahmen entgegen. «Bei Lehrpersonen ist die Sensibilisierung für unpünktliche Schüler gestiegen», sagt Beat Zemp, Präsident des Lehrerverbands LCH. Mit dem ÖV als generelle Ausrede für Verspätungen kämen Schüler heute nicht mehr durch. «Grössere Verspätungen im ÖV können heute überprüft werden.» Wer aus unangemessenen Gründen unpünktlich ist, wird laut Zemp in einer Liste eingetragen und muss im Wiederholungsfall mit Sanktionen rechnen. «Aufgrund dieser Sanktionen wollen die Schüler ohnehin lieber pünktlich als zu spät zum Unterricht erscheinen.»
Tijana Nikolic