Die Zahl der Pendler, die erwischt werden, weil sie versuchen, die Billettkontrollen im öffentlichen Verkehr auszutricksen, steigt. 2017 wurden
gemäss Zahlen des Bundesamts für Statistik 635 Beschuldigte gezählt, die des «Erschleichens einer Leistung» verdächtigt werden – ein Viertel mehr als noch fünf Jahre zuvor
Das Schwarzfahren macht diesen Straftatbestand hauptsächlich aus. Unter ihn fällt, wer sich besonders Mühe gibt und «heimlich oder täuschend» vorgeht, sich also etwa vor Kontrollen versteckt. Jeder vierte Beschuldigte ist ein Mann im Alter zwischen 15 und 19 Jahren.
440 000 Schwarzfahrer 2017 registriert
Diese Zahlen sind nur die Spitze des Eisbergs. Insgesamt registrierte die SBB im Jahr 2017 440’000 Schwarzfahrer. Sie habe «Tausende Strafanzeigen» eingereicht, sagt Sprecherin Franziska Frey. Den Schätzungen der Tariforganisation CH-direct zufolge erfolgen drei Prozent aller Fahrten ohne Billett, der ÖV verliere dadurch jährlich einen zweistelligen Millionenbetrag.
Seit Monaten ohne gültige Billette
Schwarzfahrern wie S. Z. (20 Minuten berichtete) ist das egal. Weil er erfahrungsgemäss kaum kontrolliert wurde, fährt der junge Mann seit August 2018 ohne gültiges Billett. Viele Leser verstehen ihn. «Nicht er zockt den ÖV ab, der ÖV zockt uns alle ab», schreibt einer. Ein anderer findet, dass es keinen Sinn mache, 1400 Franken für ein Abo auszugeben, wenn man nicht ein einziges Mal pro Jahr kontrolliert werde. Deshalb verzichte auch er auf Billette. Doch nicht alle haben Verständnis für Z. «Am besten wären Plattformsperren wie etwa in England. Dann kann nur noch mitfahren, wer ein gültiges Billett hat», schreibt eine Leserin.
„Fährt man schwarz, erzielt man einen schnellen Gewinn“
Doch wieso fahren so viele schwarz? Experten sind sich einig: Der Preis spielt eine Rolle. «Meine Vermutung ist, dass gestiegene ÖV-Preise für manche den Anreiz zum Schwarzfahren erhöht haben», sagt Verkehrsexperte Thomas Sauter-Servaes von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften zu 20 Minuten. Fahre man schwarz, erziele man einen schnellen Gewinn – solange man nicht erwischt werde.
Resultat von Risiko- und Wahrscheinlichkeits-überlegungen
Schwarzfahrer gehen dabei pragmatisch vor. «Ob jemand schwarz fährt, ist das Resultat von Risiko- und Wahrscheinlichkeits-überlegungen. Selbst eine hohe mögliche Busse, multipliziert mit geringem Risiko, kann als preisgünstiger wahrgenommen werden als die Ausgaben für ein Ticket», so Christian Laesser, Professor für Tourismus und Dienstleistungsmanagement an der Universität St. Gallen. Dass vor allem junge Leute und Männer Schwarzfahrer seien, habe damit zu tun, dass diese generell risikofreudig seien. Deshalb sei in dieser Gruppe die Anzahl der Schwarzfahrer am höchsten, so Laesser.
«Schwarzfahren schädigt Transportunternehmen»
«Schwarzfahren ist unfair und schädigt die Transportunternehmungen», sagt SBB-Mediensprecherin Franziska Frey. Die entgangenen Einnahmen müssten anderweitig kompensiert werden – letztlich durch die Öffentlichkeit. Um der strategischen Schwarzfahrerei entgegenzuwirken, planen die Schweizer Verkehrsbetriebe ein Schwarzfahrer-Register, das ab April 2019 zur Verfügung stehen soll.
Berlin will Schwarzfahren sogar ein wenig legalisieren
Einen anderen Weg geht die grösste deutsche Stadt, Berlin. Laut dem «Tagesspiegel» arbeitet die Justizverwaltung an einem Gesetzesentwurf, der das Schwarzfahren ein Stück weit legalisieren soll. Sollte die Gesetzesvorlage angenommen werden, müssten Wiederholungstäter kein Strafverfahren, keine Geldbusse und keine Gefängnisstrafe mehr fürchten. Fahrgäste ohne Ticket müssten zwar weiterhin ein «erhöhtes Beförderungsentgelt» von 60 Euro bezahlen. Das neue Gesetz soll vor allem die Berliner Justiz entlasten: Diese befasst sich gemäss «Tagesspiegel» jedes Jahr mit 40’000 solcher Taten. Von der Gesetzesänderung hält Experte Sauter-Servaes nichts: «Jeder sollte für die Leistung bezahlen, die er beansprucht.» (maz/jk)
Tijana Nikolic