Der neue Bericht «Aufwachsen im digitalen Zeitalter» der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) befasst sich mit den Kompetenzen, die Kinder und Jugendliche benötigen, um in einer digitalen Welt aufzuwachsen, sich auszubilden, zu arbeiten und daran teilzuhaben
Eine erstmals veröffentlichte Analyse zu den Anforderungen in der Arbeitswelt zeigt, wie gefragt Kompetenzen wie die Fähigkeit zur Problemlösung und Kommunikation sowie Kreativität und Empathie sind. Die Schule spielt beim Erwerb dieser Fähigkeiten eine wichtige Rolle, kann aber nicht alles alleine bewältigen. Es gilt, das Potenzial der ausserschulischen Kinder- und Jugendarbeit und der frühen Förderung zu nutzen und die Kinder und Jugendlichen in die Diskussion rund um die Digitalisierung einzubeziehen. Die Forderungen der EKKJ zeigen auf, wie man die Bedürfnisse und Perspektiven von Kindern und Jugendlichen besser berücksichtigen kann.
Wie geht man mit dem „always on“ um?
Was muss man lernen, um in der Arbeitswelt von morgen gute Chancen zu haben? Welchen Beruf soll man wählen? Welche Rolle nimmt die Schule ein und welches Potenzial bieten ausserschulische Aktivitäten? Wie geht man richtig mit dem «always on» um? Zur Beantwortung dieser Fragen greift der Bericht «Aufwachsen im digitalen Zeitalter» auf die Analysen von Fachpersonen aus den Bereichen Wirtschaft, Bildung, Frühförderung und ausscherschulische Aktivitäten zurück. Ausserdem zeigt der Bericht verschiedene Projekte auf, bei denen Kinder und Jugendliche zu Wort kommen und die Herausforderungen der Digitalisierung gemeinsam mit ihnen angegangen werden. Mit ihren Forderungen setzt sich die EKKJ für eine kinder- und jugendfreundliche Digitalisierung ein.
Kindern genug Kenntnisse mitgeben
Für Sami Kanaan, EKKJ-Präsident, ist klar, dass Kindern und Jugendlichen die nötigen Instrumente und Kenntnisse mitgegeben werden müssen, um die Digitalisierung zu verstehen. Vor allem sollen sie «bei der Digitalisierung mitreden und die digitale Welt mitgestalten können. Dies beginnt z. B. bei der Diskussion, ob Smartphones an Schulen erlaubt sein sollen, geht über Regeln zur Mediennutzung zu Hause bis hin zur Strategie für eine digitale Schweiz.»
Sozial- und Selbstkompetenzen ist wichtig
Im Auftrag der EKKJ hat Sarah Genner, Expertin für Medienpsychologie und Digitalisierung der Arbeitswelt, die im 21. Jahrhundert besonders gefragten Kompetenzen und Charakterstärken aus insgesamt 26 Modellen und Auflistungen analysiert und gewichtet. Ein Modell veranschaulicht die meistgenannten Kompetenzen, darunter Kommunikation, Kreativität, Selbststeuerung, Problemlösung, Empathie und analytisches Denken. Die Kompetenzen und Grundwerte wurden in einem systematisierten Übersichtsmodell zusammengetragen. Sarah Genner stellt fest: «Künftige Arbeitskräfte müssen das können, was Maschinen nicht können: Kreativität, Problemlösefähigkeit und Sozialkompetenzen».
„Aber nicht jeder Schulabgänger muss ein Informatiker sein“
Verschiedene Studien zum Anforderungsprofil auf dem Arbeitsmarkt bestätigen, wie wichtig nebst den technischen Kompetenzen sogenannte «soft skills» sind (Artikel Wehrli; Artikel Renold/Bolli). Gemäss Roger Wehrli, stellvertretender Leiter des Bereichs allgemeine Wirtschaftspolitik und Bildung bei economiesuisse, sollte «jedes Kind die Grundlagen des ‹Computational Thinkings› erlernen. Aber nicht jeder Schulabgänger muss ein Informatiker sein».
Schule kann aber nicht alles alleine bewältigen
Dass den Informations- und Kommunikationstechnologien im Lehrplan mittlerweile ein höherer Stellenwert zukommt, ist begrüssenswert. Doch steht die Schule vor der Herausforderung, die Digitalisierung in die Schulkultur zu integrieren und die digitalen Tools in allen Fächern zu verwenden (Artikel Merz). Das setzt eine entsprechende Schulung und Weiterbildung der Lehrkräfte sowie eine moderne Infrastruktur voraus, die auf die Gesundheit Rücksicht nimmt und den Datenschutz gewährleistet. Jugendliche des Gymnasiums Frauenfeld, das Bücher und Hefte durch Tablets ersetzt hat, erzählen von ihren Erfahrungen mit dem digitalen Unterricht.
Potenzial der ausserschulischen Aaktivitäten nutzen
Die ausserschulische Kinder- und Jugendarbeit (offene Jugendarbeit, Vereine, usw.) zeichnen sich durch Freiwilligkeit und Partizipation aus und fördern die Entwicklung von Sozial-, Selbst- und Medienkompetenzen. Dieses Potenzial muss endlich anerkannt und genutzt werden. Dazu müssen die erforderliche Schulung und die nötigen Ressourcen bereitgestellt werden (Artikel Steiner/Heeg; Artikel Gendre). Zwei Praxisbeispiele verdeutlichen dieses Potenzial: Eine von einer Pfadigruppe entwickelte App vereinfacht die Organisation der Aktivitäten und den gesicherten Informationsaustausch. Gleichzeitig ermöglicht die App neue Spiele und Lernmethoden. Im Projekt SMALA des Kinder- und Jugenddiensts in La Chaux-de-Fonds haben sich Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren mit der Nutzung von Smartphones und den Auswirkungen auf die Qualität von sozialen Beziehungen auseinandergesetzt.
Ständig vernetzt–nicht nur für Jugendliche eine Herausforderung
Basierend auf ihrer klinischen Praxis liefert Sophia Achab, Expertin für Verhaltensabhängigkeiten, Überlegungen zu den psychischen Herausforderungen des «always on», das den Bezug zu sich selbst, zu anderen und zum Raum beeinflusst. Die ständige Vernetzung kann für die psychische Konstruktion von Nutzen sein, aber auch ein Risiko für das psychische Gleichgewicht darstellen. Der EKKJ zufolge sollten Studien zum Thema «always on» durchgeführt werden, da es keine simplen Regeln für einen gesunden Umgang mit der ständigen Vernetzung gibt.
Tijana Nikolic