Laut einer Studie sind aquatische Organismen zurzeit nicht akut gefährdet
Qualvoll verendete Meeresvögel mit einem Bauch voller Plastikmüll; Plastikansammlungen so gross wie Inseln: Bilder wie diese hat heute praktisch jeder schon gesehen. Doch es gibt auch Plastikteile, die von Auge kaum sichtbar sind – Mikroplastik. Die Gefahr, die diese winzigen Teile bergen, ist bis anhin kaum erforscht. Forscher der Empa haben nun die weltweit erste Risikoabschätzung für Mikroplastik in Seen und Flüssen durchgeführt. In Europa, so das Fazit der Studie, sind aquatische Organismen zurzeit (noch) nicht akut gefährdet.
So klein wie ein Staubkorn – doch von grosser globaler Tragweite. Das Wort Mikroplastik ist vielen ein Begriff, doch die Gefahren sind so gut wie unerforscht. In den letzten Jahren ist die Verschmutzung durch Plastik zu einer immer grösseren Belastung für die Umwelt herangewachsen. Unzählige Videos und Medienberichte machen auf dieses Problem aufmerksam. Während die Gefahren durch grosse Plastikteile für Tiere kaum zu übersehen sind, findet man über diejenigen von Mikroplastik bis anhin praktisch nichts. Doch was ist Mikroplastik überhaupt?
Phänomen Mikroplastik
Zu Mikroplastik zählen Kunststoffteile, die kleiner als fünf Millimeter sind. Dabei unterscheidet man zwei Arten von Mikroplastik: Kunststoffgranulate, die als Ausgangsmaterial zur Herstellung von diversen Kunststoffprodukten, aber auch von Kosmetika und Haushaltsartikeln dienen (primärer Mikroplastik) und Kunststoffteile, die beim Zerfall grösserer Plastikteile in der Umwelt entstehen, z.B. durch Verwitterung oder mechanische Beanspruchung (sekundärer Mikroplastik). Eine wichtige Quelle von sekundärem Mikroplastik sind Faserbruchstücke, welche beim Waschen von Kunststofftextilien ins Abwasser abgegeben werden. Primärer Mikroplastik gelangt durch Reinigungsprozesse, etwa in Industriebetrieben, dem Hausputz oder beim Duschen, ins Abwasser. Obwohl nicht dafür konzipiert, sind Kläranlagen recht effizient darin, Mikroplastik aus dem Abwasser zu filtern. Trotzdem verteilen sich grosse Mengen an Mikroplastik in Gewässern und Böden überall auf der Welt – Tendenz steigend.
Keine Gefahr für Europa
Können diese Millimeter kleinen Partikel ein Problem für die Umwelt darstellen? Der Umweltwissenschaftler und Empa-Forscher Bernd Nowack setzt sich unter anderem mit der Umweltbelastung durch Mikroplastik auseinander. Zusammen mit Véronique Adam hat Nowack nun die weltweit erste Risikoabschätzung für in Süsswasser lebende Fische und andere Wasserorganismen durchgeführt. Dazu haben sie die Ergebnisse aus unzähligen Studien verglichen und ausgewertet. Um herauszufinden, ob ein Risiko für die Umwelt besteht, haben die Empa-Forscher eine Methode angewendet, welche für die Abschätzung von Umweltrisiken durch Chemikalien etabliert ist. Sie verglichen real gemessene Belastungen von Gewässern durch Mikroplastik mit Schwellenwerten für die möglichen toxischen Effekte bei verschiedenen Organismen. Überschneiden sich Belastungen und Schwellenwerte, besteht tatsächlich ein Umweltrisiko.
Ergebnis: In Europa besteht momentan keine Gefahr für die Umwelt, da die tatsächlich gemessenen Konzentrationen an Mikroplastik in den bis jetzt untersuchten Gewässern deutlich unter den Schwellenwerten liegen. Bekanntlich ist jedoch besonders Asien vom Plastikproblem betroffen. Nowack und Adam fanden in den Daten aus Asien dann auch eine Überschneidung der Belastungen und der Schwellenwerte , wenn diese auch äusserst klein ist.
Kläranlagen zum Schutz
Wie diese beiden Beispiele zeigen, fanden die Forscher Unterschiede zwischen den verschiedenen Weltregionen bezüglich Verschmutzung durch Mikroplastik und des daraus resultierenden Risikos für die Umwelt. Vor allem in Regionen, die kein oder ein nur begrenzt funktionierendes Abwassereinigungssystem haben, können höhere Umweltkonzentrationen auftreten. Dies, da gut funktionierende Kläranlagen besonders wichtig sind für den «Schutz» der Umwelt vor Mikroplastik.
Nowacks Fazit: «Zurzeit besteht kein Hinweis, dass Mikroplastik in Europa ein Risiko für die Umwelt darstellt.» Allerdings seien weitere Untersuchungen nötig, um negative Folgen definitiv ausschliessen zu können, da die Datengrundlage insgesamt noch recht spärlich ist, vor allem auch, was lokale Hotspots von Mikroplastik in der Umwelt angeht. So empfiehlt er etwa kontrollierte Studien mit Standardmethoden und vollständiger Charakterisierung der Partikel. Seine eigene Forschungsgruppe «Environmental Risk Assessment and Management» in der Empa-Abteilung «Technologie und Gesellschaft» in St. Gallen wird das Thema jedenfalls weiterverfolgen. Geplant sind ähnliche Risikobewertungen für Mikroplastik in Böden und eine Studie für die Weltmeere. Auch die Quantifizierung der Mikroplastikflüsse in die Umwelt oder die Untersuchung der Bildung von Mikroplastik beim Waschen und Verwittern sind aktuelle Forschungsprojekte.
Empa
foto: Ansa