Alia*, 19 Jahre, kommt aus Somalia und lebt seit dem 2. Lebensjahr in der Schweiz. Zurzeit besucht sie eine Handelsschule und wird die KV-Lehre diesen Sommer abschliessen. In Zukunft würde sie gerne Internationale Beziehungen studieren. Alia ist Muslima. Die Stellungnahme einer jungen Muslima zu Themen, welche die Schweiz beschäftigen.
Alia, du trägst als Zeichen des Glaubens ein Kopftuch, welche Erfahrungen hast du als Muslima in der Schweiz gemacht?
Ich trage das Kopftuch seit dem Ende der Sekundarschule, daher fiel ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht besonders auf. Ich hatte also eine ganz normale Kindheit.
Wir haben von unseren Eltern die islamischen Werte bekommen, aber sie haben nie von uns verlangt, dass wir dies nach Aussen, z.B. mit einem Kopftuch, zeigen. Sie legen mehr Wert darauf, die inneren Werte weiterzugeben als auf Äusserlichkeiten.
Ende der Sekundarschule war ich sehr neugierig. Ich hatte eine Freundin, die ein Kopftuch trug, mit ihr und meiner Mutter habe ich viel darüber gesprochen. Dann wollte ich dies ausprobieren. Ich hatte ja die Wahl, hätte es mir nicht gefallen, hätte ich es wieder ablegen können. Ausserdem trage ich es nicht auf die „klassische“ Art. Viele Leute fragen mich, ob dies nur Mode sei, oder ob es auch religiöse Hintergründe habe.
Meine Schwestern beispielsweise tragen kein Kopftuch. Es spielt zwar eine Rolle, aber Werte, wie „man soll nicht lügen“, sind wichtiger. Meinen Eltern war es wichtig, dass das Kopftuch einen persönlichen Bezug zur Religion schafft, und nicht dass es einfach so getragen wird.
Viele Menschen verstehen das nicht, aber wenn sie mich darauf ansprechen und ich ihnen erkläre, was es für mich bedeutet, dann können sie dies nachvollziehen.
Wurdest du von deinem Umfeld immer akzeptiert oder gab es Momente, wo du dich aufgrund des Kopftuches anders behandelt gefühlt hast?
Es kann schon vorkommen, dass man auf der Strasse blöd angesprochen wird, aber normalerweise akzeptiert man mich, so wie ich bin.
Als ich in London war, habe ich die Erfahrung gemacht, dass man dort dem Thema Kopftuch und Islam viel offener entgegentritt. Es gibt beispielsweise auch Flughafenpersonal, das Kopftücher trägt.
In der Schweiz war die Lehrstellensuche schwierig, was ich nicht ganz verstehe, denn eigentlich ist es nur ein Stück Stoff mehr. Damit hatte ich Mühe, doch ich habe mir gesagt: „Ich muss mich 2 Mal beweisen, 1 Mal als Frau und 1 Mal als Muslima“. Das ist meine Motivation, das bringt mich im Leben weiter.
Momentan ist das Burka-Verbot das Thema in der Schweiz, wie stehst du dazu?
Ich persönlich würde keinen Burka tragen. Ich verstehe absolut nicht, wieso man so ein Drama daraus macht. Es gibt so wenige Frauen in der Schweiz, die einen Burka tragen – das ist die ganze Diskussion doch gar nicht Wert. Ausserdem habe ich in der letzten Zeit das Gefühl, dass die Schweiz stark etwas gegen den Islam hat, nach dem Minarett-Verbot folgt gleich das Burka-Verbot. Es scheint, als werde die islamische Gemeinschaft in der Schweiz mit Verboten zugepflastert.
Aus welchem Grund würdest du keinen Burka tragen?
Ich kann es mir nicht vorstellen, in der Schweiz einen Burka zu tragen.
Dass man mein Gesicht nicht sieht, oder dass ich mich mit den Menschen nicht richtig verständigen könnte, würde mich stören. Ich respektiere und verstehe Burkaträgerinnen, sicher haben sie ganz persönliche Gründe dafür.
Tragen diese Frauen den Burka, deiner Meinung nach, freiwillig oder weil sie dazu gezwungen werden?
Diese Frauen sind ja meist schon älter, haben ein Leben aufgebaut oder sind verheiratet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Frauen in der Schweiz dazu gezwungen werden. Von mir aus gesehen, ist es eine ganz persönliche Entscheidung. Das Bild, dass muslimische Frauen von der Familie oder von Ehemännern zum Tragen von Kopftüchern oder Burkas gezwungen werden scheint hier Gang und Gäbe zu sein. Es wird auch Fälle geben, wo dies so abläuft, aber meiner Erfahrung nach ist dies nicht so.
Kennst du eine Burkaträgerin?
Nein, in unserer Familie tragen die meisten Frauen ein Kopftuch. Man muss auch wissen, dass der Burka nicht Pflicht ist, das Kopftuch hingegen schon.
Was passiert deiner Meinung nach bei einem definitiven Burka-Verbot?
Ich denke, dass die Burkaträgerinnen in eine ganz schwierige Situation gelangen. Man muss bedenken, dass der Burka zu ihrer Persönlichkeit gehört. Nachdem sie ihn jahrelang getragen haben, können sie sich sicherlich nicht vorstellen, ihn abzulegen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass sie nicht mehr in der Schweiz weiterleben würden. Die Diskussion, dass sie dann nicht mehr aus dem Haus gehen ist nicht falsch, aber alle denken, das sei, weil man sie nicht mehr aus dem Haus lasse. Fragt sich denn auch jemand mal, ob diese Frauen überhaupt ohne Burka auf die Strasse wollen? Von mir aus gesehen, ist dies das Problem. Ich verstehe nicht, wieso man diese Frauen so einschränken sollte.
Haben für dich Burka und Kopftuch überhaupt etwas mit den Rechten der Frau zu tun?
Ich verstehe es auch nicht ganz, als Muslima glaubt man an den Koran, dort stehen alle Rechte. Ich verstehe nicht, warum man immer Bezug auf die Frauen nimmt, sie haben doch die gleichen Rechte wie die Männer. Natürlich gibt es Unterschiede, Männer und Frauen sind ja auch von Natur aus nicht gleich. Aber die Leute entscheiden selbst dafür oder dagegen, sich mit der Religion zu befassen. Die Frau stellt sich die Frage selber, ob sie das möchte oder nicht.
Ist die Diskriminierung der Frau in der islamischen Welt also gar kein Thema?
Es ist schon so, dass wenn man heiratet, gewisse Aufgaben verteilt werden. Der Mann ist dafür zuständig, dass die Familie gut versorgt wird, die Frau bleibt meist im Haushalt. Heutzutage ist es aber so, dass beide arbeiten und sich beide um den Haushalt und die Kinder kümmern. Bei diesem Thema beginnt ja auch schon die ganze Problematik. Die Leute sehen nicht, dass Muslime in die Schweiz kommen, weil sie arbeiten und sich ein Leben aufbauen wollen. Sie wollen sich in der Schweiz integrieren. Ich beziehe mich hier auf die Schweiz, in muslimischen Ländern läuft vieles anders ab, aber ich habe mir schon lange abgewöhnt, über Angelegenheiten zu spekulieren oder schlecht zu reden, die ich gar nicht kenne. Ich kann hier die Situation in der Schweiz beschreiben.
Wie soll sich die islamische Gemeinschaft in der Schweiz verhalten?
Von mir aus gesehen ist es ganz wichtig, dass die islamischen Verbände in der Schweiz damit beginnen, die Menschen besser zu informieren. Es ist ihre Aufgabe der Bevölkerung zu erklären, worum es bei einem Burka oder einem Minarett geht. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Leute über Dinge diskutieren, die sie gar nicht verstehen. Darum ist es wichtig, dass die Verbände eine Brücke schaffen, und es ist wichtig zu verstehen, worüber man diskutiert.
Siehst du im Burka ein Problem der Integration?
Ja, weil es ist meiner Meinung nach schwieriger ist, mit anderen Leuten zu verkehren. Ausserdem ist es vielleicht schwierig für diese Frauen, alleine auf die Strasse zu gehen, weil sie blöd angesprochen werden könnten. Integration spielt für Muslime eine grosse Rolle, man möchte in der Schweiz als Schweizer leben, aber trotzdem die eigene Religion ausleben, und dies ist aus meiner Sicht, mit einem Burka schwieriger.
*Name der Redaktion bekannt, Vollkommene Anonymität wird garantiert.
Manuela Salamone