Die Wohnverhältnisse sind ein entscheidender Faktor bei der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Eine angemessene Wohnsituation trägt zum Wohlbefinden wirtschaftlich benachteiligter Haushalte bei und fördert somit ihre Integration
Die Fachtagung zum Thema «Wohnen: Fundament für gesellschaftliche Integration oder Gefahr der Verarmung?» des Bundesamtes für Wohnungswesen (BWO), die letzte Woche in Grenchen (SO) stattfand, hat gezeigt, wie wichtig es ist, sich von vorgefassten Meinungen zu lösen und eine sachlich gut fundierte Strategie zu verfolgen. Nur so lässt sich die Wohnsituation dieser Haushalte wirksam verbessern.
Schlechte Wohnsituation kann Integration erschweren
Zur Eröffnung der Tagung erinnerte der stellvertretende BWO-Direktor Felix Walder daran, wie wichtig die Wohnverhältnisse für das Wohlbefinden der Menschen sind, insbesondere für Menschen in wirtschaftlich oder sozial schwierigen Lebenslagen: Die Wohnsituation kann Sicherheit und Wohlbefinden vermitteln, aber auch die Integration erschweren oder zu Verarmung führen. Aus diesem Grund hat das Nationale Programm zur Prävention und Bekämpfung von Armut, das als Partner der Fachtagung fungierte, das Wohnen zu einem seiner Handlungsfelder erkoren.
Armut schafft unbefriedigende Wohnverhältnisse
In seinem Eröffnungsvortrag zeigte Carlo Knöpfel auf, dass in der Schweiz die grosse Mehrheit der von Armut betroffenen Haushalte in unbefriedigenden Wohnverhältnissen lebt, insbesondere weil die Wohnkosten ihr Haushaltsbudget übermässig belasten. Die Situation ist in unserem Land allerdings relativ stabil, im Gegensatz zu Frankreich. Dort spitzen sich die Schwierigkeiten vor allem für die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen zu, wie Opale Echegu vom Observatoire national de la pauvreté et de l’exclusion sociale ONPES ausführte.
Einkommensschwache Haushalte weiterhin in Zentren vertreten
Im Anschluss legte Philippe Wanner von der Universität Genf in seinem Vortrag dar, dass Haushalte mit beschränktem Einkommen weniger häufig umziehen als andere. Seine Erkenntnisse widerlegen die Hypothese, wonach einkommensschwache Haushalte zunehmend aus den Zentren verdrängt werden, und verdeutlichen die unverändert grosse Anziehungskraft der Zentrumsgemeinden auf diese Bevölkerungsgruppe. Danach veranschaulichte die Untersuchung von Corinna Heye, dass die Wohnverhältnisse von Personen mit Asylhintergrund weniger dramatisch sind als allgemein angenommen.
Wie andere Haushalte aus ähnlichen Herkunftsländer begegnen diese Personen Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche, sind aber im Vergleich nicht mit zusätzlichen Hindernissen konfrontiert. Die grossen Herausforderungen in diesem Bereich sind und bleiben die Integration und die Verbesserung der Wohnkompetenz.
Die Vermietschaft sensibilisieren
Mehrere Referentinnen und Referenten wiesen auf Faktoren hin, die den Zugang zu Wohnraum erschweren. Claudia Biagini von der Stiftung Domicil, Rachèle Féret und Thierry Humair von der Fondation Apollo sowie Emmanuelle Garcia von der Unité Logement der Stadt Lausanne berichteten von ihren Erfahrungen. Aus ihrer Sicht erfordern die sehr heterogenen Situationen von Wohnungssuchenden massgeschneiderte Lösungen. Wichtig seien insbesondere Kontakte zur Vermieterschaft.
Nur so könne man für die Sache sensibilisieren und Abmachungen aushandeln, die schliesslich zu einem Mietvertrag führen. Henk Van Hootegem vom belgischen Service de lutte contre la pauvreté, la précarité et l’exclusion sociale schilderte dortige Überlegungen zum Thema Mietzinsgarantie. Solche Garantien sollen Vermietern eine grössere finanzielle Sicherheit bieten, wodurch ein grosses Hindernis beim Zugang zum Wohnungsmarkt wegfällt.
Orientierungshilfe der ETH
Der Schlussvortrag von Marie Glaser, der Leiterin des ETH Wohnforums, bot einen Vorgeschmack auf eine Publikation, die sich als Orientierungshilfe an die Gemeinden und Kantone richtet. Die Referentin unterstrich den didaktischen Zweck der Broschüre, die im Rahmen des nationalen Programms zur Prävention und Bekämpfung von Armut Anfang 2018 veröffentlicht wird. Sie präsentiert auf leicht verständliche Art und Weise sieben Wohnhilfeangebote und zeigt, wie diese in fünf Schweizer Gemeinden eingesetzt werden.
Rolle der verschiedenen Akteure
Die Tagung endete mit dem Podiumsgespräch zur Frage «Dank einer Allianz mit breiter Basis zu Lösungen kommen?». Der für das Wohnungswesen im Kanton Genf zuständige Staatsrat Antonio Hodgers, der stellvertretende Direktor des Schweizerischen Städteverbandes Martin Tschirren, der Geschäftsführer von SVIT Zürich Pascal Stutz sowie die Leiterin der Fachstelle Sozialpolitik von Caritas Schweiz Bettina Fredrich diskutierten über die Rolle der verschiedenen Akteure, mögliche Allianzen sowie über die Chancen und Risiken der während der Tagung angesprochenen Handlungsstrategien. Insgesamt nahmen rund 200 Personen an der Fachtagung zum Thema «Wohnen: Fundament für gesellschaftliche Integration oder Gefahr der Verarmung?» teil, die am 9. November 2017 im Rahmen der Grenchner Wohntage 2017 stattfand.
Tijana Nikolic