Für die Befürworter hat sich der Artikel bewährt. Denn er entspreche dem Volkswillen
«Der Artikel hat sich offensichtlich nicht bewährt», sagt SVP-Nationalrat Gregor Rutz. Er führe zu einer Vielzahl unsinniger, aussichtsloser, erfolgloser und teilweise auch missbräuchlicher Anzeigen. Dies führe zu unnötigem Aufwand und Arbeit bei Gerichts- und Strafverfolgungsbehörden und verursache Kosten: «Dass es am Schluss kaum zu Verurteilungen kommt, zeigt, wie unsinnig die ganze Übung ist», sagt Rutz. Es sind illustre Namen aus Showbusiness und Politik, gegen die schon Anzeigen wegen Verstössen gegen den Rassismusartikel eingereicht wurden: Wegen angeblich antisemitischen Äusserungen in einer Fernsehsendung traf es Massimo Rochi, nach einem Comedy-Auftritt mit Witzen über Italiener den Berner Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät. Wegen Äusserungen über tunesische Asylbewerber auf Tele Züri wurde SVP-Nationalrat Alfred Heer angezeigt. Und aufgrund eines Fernsehauftritts von Birgit Steinegger mit schwarz bemaltem Gesicht drohten Kulturschaffende mit einer Anzeige. Dazu soll es in Zukunft nicht mehr kommen, findet die SVP. Sie hat eine Motion eingereicht, damit der Artikel ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird.
Dieser wurde 1994 in einer Volksabstimmung angenommen – mit 54,6 Prozent Ja-Stimmen. Ausserdem stehe die Anti-Rassismus-Strafnorm, wie das Gesetz offiziell heisst, «im Spannungsfeld mit zentralen Prinzipien unserer liberalen Rechtsordnung» – namentlich im Widerspruch zur Meinungsäusserungsfreiheit. Auch Rutz’ Parteikollege Alfred Heer stört sich am «politischen Missbrauch» des Rassismusartikels. Ursprünglich sei der Artikel dazu gedacht gewesen, zu verhindern, dass Holocaustleugner oder rassistische Hetzer in der Schweiz Websites aufschalten oder Bücher publizieren könnten. Er sei dafür da, Minderheiten in groben Fällen vor Rassismus zu schützen: «Leider wird er heute immer häufiger dazu benutzt, politische Diskussionen abzuklemmen.» Im Gegensatz zu seinem Parteikollegen Gregor Rutz plädiert Heer nicht für eine ersatzlose Streichung des Artikels. Der Artikel müsse aber präzisiert und eingeschränkt werden, um ihn zukünftig nur noch auf Fälle von eindeutig rassistischer Propaganda anzuwenden: «Es kann nicht sein, dass damit die Meinungsfreiheit in politischen Diskussionen angegriffen wird.»
Doch es gibt noch ganz andere Meinungen dazu
Daniel Jositsch, SP-Nationalrat und Strafrechtsprofessor, räumt ein, dass der Rassismusartikel in Konflikt mit dem Recht auf freie Meinungsäusserung steht. Das sei aber bei allen Freiheitsrechten der Fall. «Ich darf auch nicht ungefragt eine fremde Wohnung betreten, obwohl es in der Schweiz das Recht auf freie Bewegung gibt.» «Der Artikel hat sich bestens bewährt», sagt Jositsch. Die SVP begründe ihre Motion mit Argumenten, die man schon hundert Mal gehört habe. Dabei sei die Gerichtspraxis in Bezug auf den Rassismusartikel sehr zurückhaltend. Zwar komme es immer wieder vor, dass Leute aufgrund von harmlosen Aussagen angezeigt würden. Doch diese Anzeigen würden in den meisten Fällen nicht weiterverfolgt. «Es gibt keine unnötigen Verurteilungen.» Der Artikel werde in der Form angewandt, wie vor der Annahme in der Volksabstimmung von 1994 versprochen wurde: Bestraft würde nur, wer sich in eindeutiger Weise in der Öffentlichkeit rassistisch äussere – gegen diese Verurteilungen, beispielsweise von Holocaust-Leugnern oder Neonazis, werde jeweils kaum Kritik laut. Die SVP will mit ihrer Motion nicht nur denRassismus-Artikel beerdigen – auch die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) ist ihr ein Dorn im Auge. «Die Schweiz braucht keine staatlichen Kommissionen, die sich darüber äussern, welche Meinungen opportun sind und welche nicht», sagt Gregor Rutz. In der direkten Demokratie sei der mündige Bürger selber in der Lage, sich ein Bild über die verschiedenen politischen Meinungen zu machen und seine Entscheide entsprechend zu treffen. «Die EKR ist keine Meinungspolizei», widerspricht deren Präsidentin Martine Brunschwig Graf: «Wir sagen nicht jeden Tag, welche Äusserungen in Ordnung sind und welche nicht.» Wie der Rassimusartikel basiere ihre Arbeit auf einem Volksentscheid. Die EKR nehme als unabhängige Instanz Präventions- und Informationsaufgaben wahr: «Bei eindeutig rassistischen Äusserungen gehen wir mit unserer Kritik an die Öffentlichkeit.» Eine Abschaffung des Rassismusartikels und der EKR lehnt sie ab. Der Artikel erfülle eine wichtige Funktion. Auch in einer Demokratie brauche es beim Rassismus juristische Grenzen: «Rassismus ist keine Meinung wie jede andere.» Wer sich rassistisch äussere, verletze die Würde anderer Menschen. Mit einer Abschaffung des Artikels würden sich die Probleme mit Rassismus nicht einfach in Luft auflösen, sagt Brunschwig Graf. «Wenn sie Fieber haben und sie zerbrechen das Thermometer, verschwindet das Fieber ja auch nicht automatisch.»