Die Studentenzahlen an den Fachhochschulen explodieren. Immer weniger Menschen geben sich in der Schweiz mit einem einfachen Lehrabschluss zufrieden
Die FDP beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. Sie warnt vor einer «grassierenden Verakademisierung», die alle Branchen erfasse. «Ich finde es fragwürdig, dass immer mehr Berufe nur noch mit Hochschulstudien ausgeübt werden können. Es leuchtet mir nicht ein, dass beispielsweise Hebammen einen akademischen Titel brauchen», ärgert sich der freisinnige Nationalrat Christian Wasserfallen, der als Präsident der FH Schweiz die Interessenten der Fachhochschul-Absolventen vertritt. «Viele Berufsleute sehen sich gezwungen, ein mehrjähriges Hochschulstudium zu absolvieren, obwohl sie am liebsten einfach praktisch arbeiten würden.» Sein Parteikollege, FDP-Ständerat Joachim Eder, ergänzt: «Je mehr Leute einen Bachelorabschluss machen, desto stärker schwinden Wert und Ansehen dieses Titels.» Im Extremfall drohten Zustände wie in Frankreich oder Spanien, wo die Hörsäle zwar voll seien, aber die Absolventen am Ende ohne Aussicht auf Beschäftigung dastünden. Die Zahl jener, die nach einer Berufsmatur noch einmal die Schulbank drücken, steigt – und dürfte laut Berechnungen noch weiter steigen. Schon in den letzten Jahren ist die Zahl der Fachhochschul-Studenten explodiert: Waren 1998 noch 4876 Personen an einer Schweizer Fachhochschule eingeschrieben, waren es im vergangenen Jahr 18 Mal so viele – 87‘291 Personen! An den Universitäten und in der höheren Berufsbildung stieg die Zahl der Studenten in derselben Zeit um etwa das Eineinhalbfache. Besonders stark zugenommen hat die Zahl der Frauen an den Fachhochschulen. Heute sind 53 Mal so viele Studentinnen immatrikuliert wie noch 1998. Auch die Zahl der Ausländer (24 Mal mehr) und der Personen in einem berufsbegleitenden Studiengang (41 Mal mehr) stieg überproportional stark an.
Angst vor zukünftigen Fantasietiteln
Aufgeschreckt wurden die Freisinnigen durch eine Motion des SP-Nationalrats Matthias Aebischer. Dieser forderte, dass sich künftig neben Uni- und Fachhochschul-Abgängern auch Absolventen der höheren Berufsbildung mit einem Bachelor-Titel schmücken dürfen. Dank neuen Titeln wie «Professional Bachelor» sollten die Chancen der Schweizer Berufsleute im internationalen Arbeitsmarkt steigen. Das Anliegen scheiterte allerdings im Ständerat. «Solche Fantasietitel haben uns gerade noch gefehlt», sagt Eder. «Wenn jeder Bäcker einen Bachelor braucht, können wir mit unserem dualen Bildungssystem einpacken.» Aebischer hat kein Verständnis für diese Kritik: «Meine Forderung zielt ja genau darauf ab, die Verakademisierung zu bekämpfen.» Wenn den Berufsmaturanden an der Fachhochschule ein Bachelor-Titel winke und in der höheren Berufsbildung nur ein Diplom, dann sei es klar, dass sich die meisten von ihnen für Ersteres entscheiden. «Mein Vorstoss hätte die höhere Berufsbildung entscheidend gestärkt.» Es nütze nichts, wenn die Schweiz die weltbesten Bäcker und Schreiner hervorbringe, wenn diese aufgrund des fehlenden Titels keine Chance hätten, im Ausland eine Stelle zu finden. Auch Vertreter der Fachhochschulen weisen den Vorwurf der Akademisierung zurück. Pascal Tschamper, Leiter Kommunikation an der Fachhochschule St. Gallen sagt, die Stärke der Fachhochschulen sei genau der starke Praxisbezug: «Unsere Absolventen sind gesuchte Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt. Ohne sie würde der Schweiz noch ein viel gravierenderer Fachkräftemangel drohen.»