Der Märchenkönigin Trudi Gerster (1919–2013) widmet die die aktuelle Schau im Landesmuseum Zürich einen eigenen Raum. Generationen haben ihr seit den 1940er Jahren gebannt zugehört. Trudi Gersters Stimme ist ein Juwel im akustischen Gedächtnis der Deutschschweiz
Märchen zählen zu den grossen Erzählungen der Kulturgeschichte aller Epochen und Kulturkreise. Märchen sind der magische Zwilling unserer Vernunft, sie entführen uns in verwunschene und verzauberte Welten. Die gleichermassen für Kinder und Erwachsene inszenierte Ausstellung im Landesmuseum zeigt Herkunft, Geschichte und Aktualität der Märchen. Zu sehen sind nicht nur kostbare Manuskripte, Bilder und Objekte, sondern auch fliegende Teppiche und ein Märchenwald für die Kleinen. Hörstationen und Filmprojektionen laden zum Verweilen ein.
Trudi Gersters Sohn Andreas Jenny (60) ist stolz diese Ausstellung präsentieren zu dürfen. «Dass meine Mutter nun als Teil der Schweizer Kulturgeschichte anerkennt wird, ist wunderbar», sagt Andreas Jenny (60). «Trudi hat ihr Leben lang dafür gekämpft, nicht nur als Märchentante für Kinder, sondern als Künstlerin wahrgenommen zu werden.» Der Sohn der Grande Dame der Erzählkunst ist stolz auf die schöne Ausstellung, die neben Gersters Leben auch die Historie der Märchen durchleuchtet. Beim Rundgang nimmt Andreas Jenny als Erstes auf dem Märchenthron Platz, auf dem seine Mutter schon in den 70er-Jahren im Schweizer Fernsehen Geschichten erzählte. Neben dem legendären Sessel sind auch die prägnantesten Audioaufnahmen sowie Briefe, Fotos und Unterlagen aus ihrer Zeit als Politikerin zu bestaunen. Jenny lächelt sanft, als er auf die bunten Sommerkleider blickt, die bis vor kurzem noch in der Basler Wohnung seiner Mutter versteckt waren. «Wenn Trudi das hier nur erlebten dürfte!», sagt er. «Diese Ausstellung ist eine grosse Genugtuung und Freude.»
Doch das wahre Märchen war Trudi Gerster
Das grosse Gestern. Das „Es isch emol“, mit dem jede ihrer Geschichten begann. Trudi Gerster war aber auch bis fast zuletzt eine Frau mit einem grossen Savoir-vivre. Mit einer Stadtwohnung mitten in Basel, einem Sommerhaus in Elsass, wo sie noch mit weit über 80 selbst hinfuhr im Auto, um ein bisschen alleine zu sein oder altes Brot an Tiere zu verfüttern. An Tiere, die sie liebte und beobachtete, die sie auch oft im Zoo besuchte, es würde sich ihr dort, so sagte sie immer wieder, offenbaren, wie so ein Tier redet. So ein Elefäntli oder Krokodil oder Säuli. Reden war ihr Leben und ihr Geschäft, zuerst – und bis zuletzt – als Märchenerzählerin, und zwischendurch auch noch viel konkreter, nämlich von 1968 bis 1980 als Politikerin, als Grossrätin in Basel, zuerst als Parteilose, dann im Landesring der Unabhängigen. Sie war damit eine der ersten Frauen überhaupt in einem Schweizer Rat. Trotzdem war ihre Hauptwelt nie die praktische, sondern immer die märchenhafte, die imaginäre, diejenige, die alle Spielarten des Denkbaren und Machbaren zulässt und grenzenlos ist. Eine Welt, die sie vermitteln und übersetzen und zum Leben erwecken konnte wie niemand sonst. Angefangen hat sie damit als Kind, mit Märchennachmittagen für ihre Gschpänli zuhause in St. Gallen, als Achtjährige stand sie als „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ auf einer St. Galler Beizenbühne, die Leute hätten geschluchzt, so gut sei sie gewesen. An Selbstbewusstsein hat es ihr nie gemangelt, an Ehrgeiz schon gar nicht, und immer hat sie nach Auftrittsmöglichkeiten gesucht. Eine davon war an der Landesausstellung 1939 in Zürich, und was anfänglich nur als etwas besserer Kinderhort gedacht war, verwandelte sich schnell zu einer der grossen Landi-Attraktionen: Neben dem Schifflibach und der Gondelbahn über den See war die 19-jährige Märchenfee Trudi Gerster über Nacht der grosse Schweizer Publikumsliebling. Schliesslich besuchten 10,5 Millionen Neugierige die Landi. Trudi Gersters Stimme war schon da nicht besonders schön oder angenehm, aber sie war besonders, war eingängig, war so farbig wie ein Kinderbuch, sie passte sich auch dem seltsamsten Fabelwesen an und klang immer ein bisschen wie aus einem Trickfilm: Nie hatten Zwerge munziger, Prinzessinnen verwöhnter und Hexen giftiger gewirkt als aus dem Mund von Trudi Gerster. Die Kinder waren hingerissen. Es war diese Stimme zusammen mit der Person Trudi Gerster, die genoss, wenn sie angehimmelt wurde, die keinen Tag im Leben publikumsscheu war, was ihre Auftritte so begehrt und so vital machte. Trudi Gerster wusste ein Leben lang, wie etwas klingen muss, damit die Schweiz danach süchtig wird.
Das erfolgreiche Leben von Trudi Gerster(eine Kurzbiografie)
Trudi Gerster wurde am 6.9.1919 in St. Gallen geboren. Hier wuchs sie auf und machte die Matura. Im Jahre 1939 wurde sie im Kinderparadies der Landesausstellung als Märchenfee engagiert. Dadurch wurde sie sehr schnell im ganzen Land bekannt. An der Schauspielschule Zürich hatte sie das grosse Glück bei hervorragenden Schauspielern, die aus Deutschland geflüchtet waren zu studieren. Nach erfolgreichem Abschluss der Schweizerischen Bühnenprüfung engagierte sie sich stark am Stadttheater St. Gallen. Sie spielte klassische und moderne Rollen u.a. mit Heinrich Gretler…
Sie hatte Gastspiele in Luzern, Zürich, Basel und vielen anderen Städten. Nebenberuflich blieb sie dem Märchenerzählen treu. Berühmt wurde sie durch ihre Radiosendungen (Erzählungen, Hörspiele…) Weiterhin hatte sie Gastspiele in Deutschland und in Österreich.
1948 heiratete sie Prof. Dr. Walter Jenny und zog nach Basel. Seit der Geburt ihrer Tochter Esther Jenny (die bekannte indische Tänzerin und Yogalehrerin) konzentrierte sich Trudi Gerster auf das Märchenerzählen. Sie sammelte und bearbeitete für Radio und Tonträger viele Klassiker wie Bambi, Dschungelbuch, Gullivers Reisen, Alice im Wunderland …, sowie Märchen von Andersen, Hauff, Grimm, … und Volksmärchen aus aller Welt.
1968 wurde Trudi Gerster als eine der ersten Frauen in ein schweizerisches Parlament gewählt und blieb im grossen Rat von Basel während 12 Jahren Politikerin.
In Zusammenarbeit mit Schwiegertochter Verena Jenny (Märchenautorin, -Erzählerin, Leiterin von Klang- und Märchenmeditationen) und Sohn Andreas Jenny (Illustrator der Tonträger und Märchenbücher, Maler und Musiker) entstand eine Reihe von Märchenbüchern. Viele ihrer Tonträger wurden ausgezeichnet, 1998 wurde sie zur beliebtesten Kulturschaffenden der Schweiz gewählt und erhielt 2005 den Prix Walo
Nach erfülltem Leben ist die Märchenkönigin am 27.4.2013 im Kreise ihrer Familie sanft entschlafen.