SP-Bundesrat Alain Berset nimmt einen neuen Anlauf, um den Umwandlungssatz für die Renten der zweiten Säule zu senken
Vor kurzem hatte der Bundesrat angekündigt, die erste und die zweite Säule – die AHV und die berufliche Vorsorge (BVG) – in einem Gesamtpaket zu reformieren. Nur so sei die Finanzierung der beiden Sozialversicherungen langfristig sichergestellt. Unter anderem schlug er vor, das Frauenrentenalter von heute 64 auf 65 Jahre zu erhöhen, und kündigte einen detaillierten Reformplan an. Der Protest der Gewerkschafter schüchterte Berset offenbar nicht nachhaltig ein. Neben dem höheren Frauenrentenalter bringt der SP-Bundesrat nun weitere umstrittene Massnahmen ins Spiel. Der «SonntagsBlick» veröffentlichte das Reformpapier, das Berset den Ämtern seiner Bundesratskollegen zur Vernehmlassung geschickt hatte. Noch vor den Sommerferien wird der Bundesrat über die Reform der Altersvorsorge entscheiden. Gemäss dem Papier «Richtschnur für die Reform der Altersvorsorge 2020» will Berset den Rentenumwandlungssatz in der BVG von heute 6,8 auf 6 Prozent senken. Für eine Person, die insgesamt rund 300’000 Franken in die Pensionskasse einbezahlt hat, würde dies eine Einbusse von 10 Prozent oder 200 Franken pro Monat bedeuten. Eine solch «brutale Rentensenkung» komme nicht infrage, sagt Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes und SP-Ständerat (SG). Auch für die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr ist klar: «So hat die Vorlage keine Chance.» Sollte das Parlament einen solchen «Rentenklau» durchwinken, werde die Linke dafür sorgen, dass die Verluste bei der zweiten Säule durch eine höhere AHV-Rente ausgeglichen werden, sagt Fehr. Die Initiative «AHV plus» sei das ideale Druckmittel. Zurzeit sammeln linke Parteien und Gewerkschaften Unterschriften für das Volksbegehren, das alle AHV-Renten um 10 Prozent erhöhen will. Für die Bürgerlichen ist dieses Vorgehen der falsche Weg. Eine Vermischung der ersten und der zweiten Säule sei schlecht, sagt CVP-Fraktionschef und Ständerat Urs Schwaller (FR). Eine Senkung des Umwandlungssatzes auf 6 Prozent könne man hingegen durchaus diskutieren. Damit die Renten nicht zu stark sinken, müssten die Ausfälle aber innerhalb der zweiten Säule kompensiert werden. Dies schlägt auch Berset vor: Unter anderem sollen Arbeitnehmer künftig bereits ab 18 Jahren in ihre berufliche Vorsorge investieren können – heute tun sie dies erst ab dem vollendeten 24. Altersjahr. Der SP-Bundesrat bringe aber auch Massnahmen ins Spiel, die bis ins bürgerliche Lager umstritten sein dürften, sagt Schwaller. Zum Beispiel eine Anhebung des Mindestalters. Künftig soll man sich zwischen 62 und 70 Jahren pensionieren lassen. Das Referenzalter bleibt 65 Jahre: Ab dann müssen keine AHV-Beiträge mehr bezahlt werden. Bis anhin ist eine Pensionierung bereits ab 58 Jahren möglich. Ausnahmen für bestimmte Branchen will Berset weiter zulassen. Schwaller findet das neue Mindestalter «heikel».
Eine weitere Front für Berset tut sich bei der Finanzierung der AHV auf: Heute kommen rund 20 Prozent der AHV-Einnahmen aus der allgemeinen Bundeskasse. 2012 waren dies 7,6 Milliarden Franken. Berset möchte den Bundesbeitrag auf 10 Prozent beschränken und den Rest über die Mehrwertsteuer finanzieren. Dafür müsste diese in zwei Schritten um maximal 2 Prozentpunkte erhöht werden. Seit Anfang 2011 beträgt der normale Mehrwertsteuersatz 8 Prozent. Die Mehrwertsteuer ist bereits mehrmals zugunsten der Sozialversicherungen erhöht worden.
Nun sei es genug, findet SVP-Nationalrat Thomas de Courten (BL). Wie die «NZZ am Sonntag» berichtete, wird er diese Woche im Parlament einen Vorstoss einreichen, mit dem er eine Alternative vorschlägt: Fällt die Reserve im AHV-Fonds unter die Marke von 70 Prozent, müsste das Rentenalter in Monatsschritten so erhöht werden, dass sich der Fonds wieder zwischen 70 und 80 Prozent einpendelt. Einen Monat länger zu arbeiten, schmerze niemanden, ist de Courten überzeugt. Sein Vorschlag werde auch von Parlamentariern der FDP und CVP unterstützt. Treibende Kraft hinter dem Anliegen ist der Schweizerische Gewerbeverband (SGV). Die Erhöhung der Mehrwertsteuer schade dem ganzen Wirtschaftsstandort Schweiz, sagt SGV-Direktor Hans-Ulrich Bigler.
SP-Bundesrat Alain Berset weiss, wie es ist, von den eigenen Leuten ausgepfiffen zu werden. Am Unia-Kongress im vergangenen November bereiteten rund 300 Gewerkschafter dem Innenminister einen unfreundlichen Empfang mit Trillerpfeifen. Sie reagierten damit auf Bersets Reformpläne für die Altersvorsorge. «Ich habe die Botschaft wohl gehört, sie ist angekommen», sagte er damals zur wütenden Menge.