Ein friedlicher Tag der Arbeit ohne Krawalle
Rückblende
Anfang 1886 rief die nordamerikanische Arbeiterbewegung zur Durchsetzung des Achtstundentages zum Generalstreik am 1. Mai auf – in Anlehnung an die Massendemonstration am 1. Mai 1856 in Australien, welche ebenfalls den Achtstundentag forderte. Der 1. Mai war traditionell auch der moving day, an dem öfter Wechsel im Beruf oder Wohnort durchgeführt wurden. Es kam darauf zu Massenstreiks und Demonstrationen in den Industrieregionen. Auch in einer Chicagoer Fabrik für landwirtschaftliche Geräte erklärten sich zu dieser Zeit die Mehrheit der Arbeiter solidarisch gegen die Betriebsleitung und drohten mit Streik, weil sie unzufrieden waren mit dem 12-Stunden-Tag, bei einem Durchschnittstagesverdienst von drei US-Dollar. Für diese drei US-Dollar bekam man im Jahr 1886 in einem Restaurant ein mageres Abendessen.
Die Geschäftsleitung reagierte mit Massenaussperrungen und versuchte, die nun 800 bis 1000 freien Stellen mit neuen Einwanderern zu besetzen. Infolge der Kampagnen der sozialistischen Arbeiter-Zeitung meldeten sich jedoch nur 300 neue Arbeiter, während in anderen Fällen Arbeiter vor der Fabrikpforte Schlange standen. Das wurde und wird bis heute als großer Sieg der Gewerkschaft gewertet.
Heute
Heute wird dieser Tag in einigen Kantonen der Schweiz immer noch zelebriert. In der gesamten Schweiz scheint der Tag der Arbeit ohne Krawalle abgelaufen zu sein. In Zürich verhinderte ein Grossaufgebot der Polizei eine Eskalation. 12’000 Personen nahmen in Zürich am 1.-Mai-Umzug teil. Es war ein ungewöhnlich friedlicher Tag. Altbekannte Gesichter versammelten sich, wie jedes Jahr zur Demo. Aber auch viele Neulinge waren dabei und werden jedes Jahr mehr. Bei Bierchen und Bratwurst versucht man Zeichen zu setzten und die Arbeiter dieser Welt zu vertreten. Der Chor des Opernhauses sang ein paar Lieder. Sie taten dies um zu zeigen, dass auch sie (auch wenn sie Angestellte des Opernhauses sind – einer Hochburg der Bürgerlichen) normale Angestellte sind, die hart arbeiten, und heute für mehr Rechte kämpfen. Eine beeindruckende Aktion, die viel Anklang bei den Leuten fand. Auch die vielen verschiedenen 1. Mai – Reden waren alle interessant und zum Teil, inhaltlich sehr gut. Rednerinnen und Redner kritisierten die sich immer weiter öffnende Lohnschere und forderten Mindestlöhne, eine gerechtere Verteilung des Reichtums und existenzsichernde Renten. Gute Sozialversicherungen seien das beste Zeichen dafür, dass die gesellschaftliche Entwicklung das wirtschaftliche Wachstum begleite, sagte SP-Bundesrat Alain Berset in Fleurier NE. Alle Sozialversicherungen bestünden aus einem Pakt zwischen den Generationen, den Kranken und Gesunden sowie den Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Es gelte jedoch nicht, nur Erreichtes zu verteidigen. Wichtiger sei es, bei Veränderungen das Gleichgewicht zu halten. Daher brauche es bei den Sozialversicherungen auch eine Balance zwischen Forderungen nach mehr Gerechtigkeit einerseits und Anpassungen an die Realität andererseits. Innenminister Berset erinnerte auch an die Ungerechtigkeiten Frauen gegenüber: Eine gerechte Gesellschaft kenne auch Chancengleichheit. Aber Frauen verdienten in der Schweiz auch heute rund 18,4 Prozent weniger als die Männer. Kamal Abbas, der Koordinator der freien ägyptischen Gewerkschaftsbewegung, war der Hauptredner. Doch dieser hielt sich sowohl bei der Rede, wie auch bei der Pressekonferenz, einen Tag zuvor, sehr betucht. Er propagierte mehrheitlich die Revolution Ägyptens und beteuerte, dass man noch viel Arbeit vor sich habe. Sehr konkret war er dabei jedoch nicht, auch die Demonstranten waren von seinem Auftritt nicht begeistert.
Am Abend traf man sich gemütlich beim Kasernenareal. Zu Getränk, Gesöff und guten Konzerten genoss man die multikulturelle Stimmung. Gemäss des 1. Mai – Komitees waren die Essensstände gegen Abend ausverkauft. Der Schwarze Block verschanzte sich auf die Bäckeranlage. Ansonsten war die Luftballonaktion an der Langstrasse sehr kreativ.
Dort schmissen die Anwohner Luftballons auf die Strasse, anstatt Steine, welche dann von den Passanten zertreten wurden. Durch den Lärm, marschierte die Polizei ein, aus Befürchtung von Ausschreitungen. Es blieb also friedlich, nicht zuletzt wegen den Vorkehrungen der Polizei. Sogar die quasi traditionelle Nachdemo blieb aus. Zusammenfassend war der 1. Mai ein voller Erfolg. Als ob die Zeit auf dem Kasernenareal seit den 70er Jahren stehen geblieben ist. Das pure 1. Mai Feeling . Was heisst; viele fröhliche Kinder, Kindheitserinnerungen der Erwachsenen, Multikultur, Leute sehen, die man schon lange nicht mehr gesehen hat, mit diesen gelassen ein Bierli trinken, reden und für seine Rechte einstehen.
Tijana Nikolic