Die Idee einer obligatorischen Pflegeversicherung für Menschen ab einem gewissen Alter. Mit dem Vorschlag sind aber längst nicht alle einverstanden
Immer häufiger gehen ältere Menschen erst ins Heim, wenn es gar nicht mehr anders geht. Das ist meist der Moment, in dem die hohen Kosten anfallen. 53 Prozent der Heimbewohner sind auf Ergänzungsleistungen (EL) angewiesen, von Bund und Kantonen finanzierte bedarfsabhängige Beiträge. Zusammen mit den Leistungen der Krankenversicherung und der öffentlichen Hand decken die EL die hohen Heimkosten, die das Budget eines Rentners häufig übersteigen. Mit der 2011 eingeführten neuen Pflegefinanzierung sind die Pflegebedürftigen auf Kosten der Steuerzahler entlastet worden. Andreas Dummermuth, Präsident der Konferenz der kantonalen Ausgleichskassen, spricht von einer «Pflegefinanzierung zulasten der Kantone, die ihrerseits vieles den Gemeinden aufbürden». Wenn die öffentliche Hand in der Pflege aber immer mehr Kosten übernehmen müsse, werde das Geld langfristig für anderes fehlen. «Viele Leute haben Angst, im Alter wegen Pflegebedürftigkeit zu verarmen», sagt SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr. Wer dann Pflege brauche, fühle sich bald nur noch als Kostenfaktor. «Das Gefühl, vom Staat abhängig zu sein, obwohl man im Leben sparsam gelebt hat, darf es in einem modernen Sozialstaat nicht geben.» Die Sozialdemokratin fordert deshalb, was früher vor allem Bürgerliche verlangt haben: eine obligatorische Pflegeversicherung für Menschen ab einem gewissen Alter.
Die Diskussion darüber kommt wieder in Gang, weil Ende 2014 die dreijährige Einführungsphase der neuen Pflegefinanzierung abläuft. Auf Wunsch des Parlaments muss der Bundesrat einen Bericht über die bisherigen Erfahrungen vorlegen, eine «Strategie zur Langzeitpflege» entwerfen und dabei auch Varianten einer «separaten Pflegeversicherung» prüfen. Das Postulat, das den Bericht verlangt, stammt von Fehr. Bis 2030 rechnet das Gesundheitsobservatorium Obsan mit einer Verdoppelung der Pflegekosten auf 17,8 Milliarden Franken. Das wird die Krankenkassenprämien in die Höhe treiben, denn die Krankenversicherer tragen 45 Prozent der Pflegekosten. Längerfristig sieht Fehr bei den Prämien eine «extreme Belastung» auf den Mittelstand zukommen, was die Solidarität zwischen den Generationen strapazieren werde. Dem ziehe sie eine möglichst einkommensabhängige Pflegeversicherung ab einem gewissen Alter vor. «Weil ältere Menschen im Schnitt finanziell besser dastehen als junge und in der Regel keine Kinder mehr ernähren müssen, wäre die Zusatzbelastung verkraftbar.»
Die Möglichkeiten
Wegen der fortschreitenden Alterung wird die Pflegebedürftigkeit laut Dummermuth immer mehr zum Standardrisiko. Deshalb fordern er und die Konferenz der Ausgleichskassen wie Fehr eine Lösung über spezielle Versicherungsbeiträge. «Risiken wie Alter, Krankheit oder Pflegebedürftigkeit, die alle betreffen, sollten über Sozialversicherungen abgefedert werden.» Ergänzungsleistungen seien eigentlich für Härtefälle gedacht – und nicht dazu da, den Heimaufenthalt des Mittelstands zu finanzieren. Der Präsident der Ausgleichskassen sieht konkret zwei Möglichkeiten: Entweder zahlt man in der obligatorischen Krankenversicherung ab 40 oder 45 Jahren einen Zuschlag für die Alterspflege, wobei Kleinverdiener eine Prämienverbilligung erhalten. Oder es wird eine mit Lohnabzügen finanzierte Pflegeversicherung eingerichtet. Dummermuth, der die Schwyzer Ausgleichskasse leitet, hat für seinen Kanton berechnet, was eine Lösung via Krankenversicherung den Einzelnen kostete: In der Annahme, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung mitzahlt, wäre ein Zuschlag von monatlich 30 Franken nötig, um die Pflegekosten für Heime und Spitex zu finanzieren. Für untauglich hält er die heutige Finanzierung auf Dauer allein schon deshalb, weil sie aufgrund der vielen Finanzierungskanäle intransparent sei.
Praktiker berichten, dass Pflegeheime unter Druck der politischen Behörden Pflegekosten kleinrechnen und via Betreuungs- und Hotellerietaxe auf die Pflegebedürftigen abwälzen. Bereits stiessen einige Gemeinden an ihre finanziellen Grenzen und überlegten sich, das Angebot an Pflegeplätzen zu beschränken. Ein Stiftungsrat eines Heims im Kanton Obwalden beschrieb kürzlich in der NZZ ein weiteres Phänomen: In den Bilanzen mancher Heime fehlten Rückstellungen für Erneuerungs- und Erweiterungsbauten, weil die Betagten nicht noch weiter belastet werden könnten. Auf Nachfrage beklagt er, dass der massive Einfluss der demografischen Entwicklung immer noch teilweise ausgeblendet werde. Eine eigenständige Versicherung für Pflegekosten wird es politisch schwer haben: Bürgerliche Sozialpolitiker schrecken aus grundsätzlichen Überlegungen vor einem neuen Sozialwerk zurück. Aber einen Alterszuschlag in der bestehenden Krankenversicherung fände etwa auch CVP-Nationalrätin Ruth Humbel besser als die heutige Lösung. FDP-Ständerätin Christine Egerszegi hingegen wendet ein, was allen bisherigen Vorstössen in dieser Richtung vorzeitig die Luft rausnahm: «Es darf nicht sein, dass die Solidarität nur noch unter älteren Menschen gilt.» Dass verstärkt Steuergelder in die Pflege fliessen, sei nicht gravierend. Ältere Menschen zahlten ebenfalls Steuern und hätten im Gegensatz zur aktiven Generation kaum Abzugsmöglichkeiten.
Zweitens sei mittelfristig mit einer Entspannung bei den Ergänzungsleistungen zu rechnen, da der Anteil alter Menschen mit Renten aus der Zweiten Säule zunehme. Egerszegi will die Pflegefinanzierung aber nachbessern. In einem Vorstoss, der die Kantone in die Pflicht nehmen will, verlangt sie unter anderem, dass Heime ungedeckte Kosten nicht länger auf die Pflegebedürftigen abwälzen.