Viele Kantone haben den Start des Kindergartens nach vorne verschoben. Eltern behalten ihren Nachwuchs zunehmend ein Jahr länger zu Hause
Der Kindergarten fängt vielerorts immer früher an: Durch die Inkraftsetzung des Harmos-Konkordats verschiebt sich der Stichtag für den Eintritt in den Kindergarten in der Schweiz seit 2014 jährlich um einen halben Monat und endet 2020 mit dem definitiven Stichtag 31. Juli. Einige Kinder sind also knapp vier Jahre und wenige Wochen alt, wenn sie zum ersten Mal mit Leuchtstreifen und Umhängetasche in den Kindergarten marschieren. Wohl wegen der Verschiebung des Stichdatums stellen Eltern nun vermehrt Rückstellungsgesuche: Im Kanton Solothurn zum Beispiel, wo der 31. Juli als Stichtag schon seit 2014/2015 gilt, wurde im laufenden Schuljahr jedes zehnte Kind später eingeschult. Zum Vergleich: Vor sechs Jahren waren es bloss zwei Prozent.
In Bern muss man nicht einmal ein Gesuch einreichen
Auch im Kanton Bern belegt eine einmalige Erhebung der Erziehungsdirektion Bern, dass im Schuljahr 2014/2015 ebenfalls die Eltern von rund 10 Prozent aller Kinder vom Recht Gebrauch gemacht haben, ihr Kind ein Jahr später in den Kindergarten zu schicken. Im Gegensatz zu vielen anderen Kantonen braucht man hierfür nicht einmal ein Gesuch einzureichen. Dass auch im Kanton Zürich, wo fürs kommenden Schuljahr der Stichtag neu auf den 15. Juli angesetzt wurde, zahlreiche Eltern ihre Schützlinge lieber noch ein Jahr länger zu Hause behalten möchten, bestätigen das Schulamt der Stadt Zürich sowie Christian Hugi vom Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband. Das sei nicht falsch: «Studien zeigen auf, dass es Kinder, die wirklich reif für den Schuleintritt sind, einfacher haben.»
Nicht alle Kinder meistern den Eintritt gleich gut
Verständnis für die Eltern hat auch Brigitte Fleuti vom Verband Kindergarten Zürich. Sie empfiehlt bei Kindern, die noch Unsicherheiten zeigen, ganz genau hinzuschauen und sich mit Fachpersonen, die das Kind genau kennen, auszutauschen. Laut Fachleuten meistern tatsächlich nicht alle Kinder den Eintritt gleich gut: Einige machten sich noch in die Hose, hätten das Trotzalter nicht überwunden, könnten sich nicht von den Eltern trennen, seien schnell müde und verlangten so den zuständigen Kindergärtnerinnen immer mehr ab. Immer mehr besonders junge Kinder sind gemäss Fleuti von der Entwicklung her noch nicht bereit, sich in so grossen Gruppen zurechtzufinden. «Ein guter Start in den Kindergarten ist jedoch zentral für die spätere Entwicklung», sagt Fleuti.
Aber Eltern tun sich auch schwer
Umgekehrt tun sich manche Eltern auch schwer, ihre Sprösslinge in fremde Hände zu geben. Erwin Sommer von der Erziehungsdirektion Bern sagt dazu: «Loslassen ist sicher hin und wieder ein Thema. Eltern geben ja ihr wertvollstes Gut in die Verantwortung anderer Menschen.» Sommer kennt aber auch das Gegenteil: «Nebst den Eltern, die ihren Kindern gern ein Jahr Aufschub gewähren möchten, gibt es auch jene, die ihre Kinder bereits ein Jahr früher als üblich einschulen möchten.»
Kinder sollten Selbstvertrauen haben
Wie weiss man, ob ein Kind wirklich bereit ist für das Abenteuer Kindergarten? Laut Brigitte Fleuti vom Verband Kindergarten Zürich sollte das Kind selbstständig sein, Selbstvertrauen haben wie auch eine innere Bereitschaft für den Kindergarten. Zudem sollte es fähig sein, auch mal eine Unterrichtssequenz lang still zu sitzen und zuzuhören, sowie Interesse an anderen Kindern aufweisen. «Was wir Kindergärtnerinnen deutlich merken: Wenn am Anfang ganz junge Kinder in die Klassen kommen, können wir eine Zeit lang nicht mehr allen gerecht werden. Die Kleinen haben ganz andere Bedürfnisse.
T.N.