Die Studie „Energieregime in der Schweiz seit 1800“ nimmt die Leserschaft mit auf eine spannende Zeitreise durch die vergangenen rund 200 Jahre Schweizer Energiegeschichte
Insgesamt sechs so genannte „Energieregime“ haben die Autoren, Prof. Dr. Patrick Kupper und Irene Pallua vom Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck, identifiziert. Für jedes dieser sich teils überlappenden Energiezeitalter stellen sie die Triebkräfte, Akteure, die Etablierung neuer Infrastrukturen, den Energiekonsum und die Energieversorgung, sowie die gesellschaftlichen Konstellationen vor. Die Studie wurde im Auftrag des Bundesamts für Energie im Rahmen des Forschungsprogramms Energie-Wirtschaft- Gesellschaft erstellt.
Um welche Regime es geht
Das traditionelle Energieregime (um 1800): Der Industrialisierungsprozess in der Schweiz wird an der Wende zum 19. Jahrhundert durch den Rückgriff auf Wasserkraft und auf billige, aber qualitativ hochstehende Arbeitskraft sowie auf Holz in Gang gesetzt.
Das Kohleregime (nach 1860): Mit der Eisenbahn wird der Kohleimport möglich, einhergehend mit einer starken Importabhängigkeit und einem doppelten Umstieg auf nicht-erneuerbare und nicht-lokale Energieträger.
Das Wasserkraftregime (um 1900): Der Aufbau der auf der inländischen Wasserkraft basierenden Elektrizitätswirtschaft erfordert hohe Investitionen und vernetzte Infrastrukturen, welche die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts tief prägen. Das Erdölregime (ab 1920): Mit der Automobilisierung beginnt der Um- und Ausbau der Energieversorgung auf Erdölbasis bis zum Höhepunkt um 1970: Der Bruttoenergieverbrauch wird Anfang der 1970er Jahre zu fast vier Fünfteln mit Erdöl gedeckt.
Das Atomenergieregime (ab 1945): Die Atomenergie verspricht zunächst, alle bestehenden und zukünftigen Energieprobleme zu lösen, und materialisiert sich letztlich im Bau von schon sehr bald umstrittenen Atomkraftwerken.
Das vorerst letzte Energieregime (ab 1970): Vor dem Hintergrund der fortdauernden Dominanz von Erdöl und Atomenergie beginnen Diskussionen um Energiesparen, Energieeffizienz und alternative Energieträger. Eine Diversifizierung der Energieversorgung und ein Umbau in Richtung nachhaltiger Entwicklung werden angestrebt, die sich bislang aber erst in Ansätzen ausbilden konnten.
Unter die Lupe genommen
Das schweizerische Energie-system hat sich in den vergangenen rund 200 Jahren grundlegend verändert. Die Studie konzentriert sich deshalb auf das Entstehen und die Verfestigung neuer Energieregime seit dem Jahr 1800. Prägend für ein Energieregime sind der Zugriff auf bestimmte Energieträger und Technologien sowie der Aufbau spezifischer Infrastrukturen, die in der Gesellschaft durch Normen und Werte jeweils institutionell verankert werden. Dabei löst ein Regime ein vorhergehendes nicht einfach ab, sondern überformt dieses, sodass sich die jeweilige Gegenwart als ein Profil energiehistorischer Schichten präsentiert.
Diese Schichten werden in der Studie unter die Lupe genommen, um Erklärungsansätze für die erfolgreiche Stabilisierung und das Überdauern von Energieregimen zu liefern. Weiter untersuchen die Autoren, woher die Impulse für die grundlegenden Umwälzungen in der schweizerischen Energiegeschichte kamen, ob diese primär internationalen Trends folgten oder sich auch spezifisch schweizerische Wege identifizieren lassen. Besondere Aufmerksamkeit schenken sie hierbei der gestaltenden Rolle von Politik und Staat. Abgerundet wird der Bericht durch ein Fazit, welches die Ergebnisse der Untersuchung zusammenfasst und die wichtigsten Erkenntnisse in Form von zwölf Thesen auf den Punkt zu bringen sucht.
Tijana Nikolic