Indem er das sogenannte Rahmenabkommen mit der EU zusammen mit neuen bilateralen Verträgen (Bilaterale III) zusammenfassen wollte, erhoffte sich Aussenminister Ignazio Cassis, die Kontroverse um die «fremden Richter» in den Hintergrund zu stellen und die Wichtigkeit des «Marktzugangsabkommen» zu betonen
Sozialhilfe ohne Arbeit möglich
Doch laut «SonntagsZeitung» ist ein Gesamtpaket nun vom Tisch: Cassis erkannte, dass dafür ein neues Verhandlungsmandat nötig wäre. Deshalb will er nur noch über das Rahmenabkommen verhandeln, das die Übernahme von EU-Recht und die Streitbeilegung schlichten soll. Die EU-Unionsbürgerschaft sieht die europaweite Gleichbehandlung von EU- und Staatsbürgern vor. Die Rechte gehen über jene des Personenfreizügigkeits-abkommens hinaus: So garantiert die Bürgerschaft ein Recht auf Sozialhilfe ohne Arbeit, sichert EU-Bürgern das Wahlrecht im Gastland auf kommunaler Ebene zu und erlaubt es, sich in einem EU-Land auch ohne Arbeitsvertrag niederzulassen.
Weitere Übernahmen nicht ausgeschlossen
Zwar ist laut Cassis’ Departement bei den Verhandlungen über die Unionsbürgerschaft nur eine Erweiterung der Personenfreizügigkeit, etwa beim Familiennachzug, geplant. SVP-Nationalrat Lukas Reimann befürchtet jedoch, dass weitere Übernahmen nicht ausgeschlossen sind. Reimann, der seine Stimme bei der Bundesratswahl Cassis gegeben hat sagt: «Ich bin masslos enttäuscht und schockiert.» Denn allein die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit sei genau das Gegenteil davon, was er von Cassis’ Reset-Knopf erwartet habe. Zudem sei es unverständlich, dass Cassis ausgerechnet das selbst in der EU umstrittene Unionsbürgerrecht ins Spiel bringe. Reimann befürchtet vor allem eine erhöhte Zuwanderung, hohe Kosten für die Sozialwerke sowie eine Entwertung der politischen Rechte. Auch FDP-Präsidentin Petra Gössi erteilte der Unionsbürgerschaft im Januar eine klare Absage, da ein Rahmenabkommen vor den Stimmbürgern so keine Chance habe.
Schweiz muss nicht alles akzeptieren
Nationalrat Eric Nussbaumer hingegen gibt Entwarnung: «Die Unionsbürgerschaft ist seit Jahren eine rote Linie, und Bundesrat Cassis wird diese nicht überschreiten.» Zwar könne es Anpassungen bei einigen sozialrechtlichen Fragen geben, etwa beim Anspruch von Schweizer Bürgern im EU-Raum. «Aber eine Übernahme zentraler Bestimmungen des Unionsbürgerrechts wie den Anspruch, in die Schweiz einzureisen ohne Absicht zur Erwerbstätigkeit, sind für die Schweiz nicht verhandelbar.» Nussbaumer hält deshalb entsprechende Verlautbarungen für falsch. «Würde die EU tatsächlich die Übernahme fordern, darf die Schweiz auch sagen: Das akzeptieren wir nicht», so Nussbaumer. Dann sei es die EU, die eine rasche Einigung beim Rahmenabkommen verhindert habe. Auch aus praktischen Gründen ist für ihn die Unionsbürgerschafts-Debatte unnötig: «Wir sollten beim Rahmenabkommen keine Zeit verlieren, darum haben solche Diskussionen gar keinen Platz.»
Tijana Nikolic