In Europa verursachen Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien jährlich schätzungsweise 25’000 Todesopfer. Zur Schweiz gibt es keine spezifischen Zahlen
Aber auch hierzulande sind Spitäler immer öfter mit Bakterien konfrontiert, die nur noch schwer oder in einzelnen Fällen gar nicht mehr zu bekämpfen sind. Ein Grund dafür, dass immer mehr resistente Keime auftreten, ist der übermässige und unsachgemässe Einsatz von Antibiotika. Deshalb haben mehrere Bundesämter eine nationale Strategie gegen Antibiotikaresistenzen erarbeitet. Darin ist jedoch wenig von Verboten und Vorschriften die Rede. Oberstes Ziel ist es, durch Aufklärung und Kontrolle den Verbrauch der Antibiotika zu reduzieren. So verschreiben Ärzte diese Mittel immer noch zu häufig bei viralen Atemwegsinfektionen, um präventiv bakteriellen Infekten vorzubeugen. Zu den zentralen Gegenmassnahmen des Bundes gehört die Überwachung des Antibiotikaverbrauchs in der Human- und Tiermedizin sowie in der Landwirtschaft. Dazu wird die Anresis-Datenbank ausgebaut, eine Plattform des Schweizerischen Zentrums für Antibiotikaresistenzen. Ziel ist es, dass im Humanbereich nicht nur Spitäler ihren Antibiotikaverbrauch erfassen, sondern auch ambulante Versorger. Laut Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) hält sich der Aufwand in Grenzen. Da Antibiotika rezeptpflichtig seien, könne über die Apotheken der ambulante Verbrauch gut erhoben werden. Zudem will der Bund eine Meldepflicht für bestimmte resistente Bakterien einführen.
Der Einsatz von Antibiotika zur Wachstums- und Leistungsförderung ist in der Schweiz ist jedoch bereits seit 1999 verboten. Die Eidgenössische Fachkommission für biologische Sicherheit (EFBS) schlägt nun einen generellen Stopp für Antibiotika in der Nahrungsmittelproduktion vor. Dies geht aus einem Strategiepapier hervor, über das die «SonntagsZeitung» berichtete und das der Nachrichtenagentur sda vorliegt. Durch den übermässigen Einsatz von Antibiotika breiten sich resistente Bakterien aus. Eine Fachkommission des Bundes fordert nun, dass in der Schweizer Nahrungsmittelproduktion ganz auf Antibiotika verzichtet werden soll.
Auch Tiere haben ein Recht behandelt zu werden
Für die Anwendung von Antibiotika werden mit den ärztlichen Fachgesellschaften Richtlinien erarbeitet. Die Therapiefreiheit der Ärzte bleibe aber gewährleistet, sagte Koch. Solche Richtlinien sollen auch in der Tiermedizin angewendet werden. Nicht zuletzt der hohe Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft fördert resistente Bakterien, die sich auf den Menschen übertragen. In der Schweiz werden pro Jahr 50 bis 60 Tonnen Antibiotika an Tiere verabreicht. Etwa ein Drittel der Antibiotika landet über Mist und Gülle im Boden und im Wasserkreislauf. Gleichzeitig habe sich der multiresistente Keim MRSA im Schweizer Schweinebestand ausgebreitet, schreibt das Bundesamt in einem Bericht. Es ist geplant, Anresis auch als Datenbank für Resistenzen in der Tiermedizin und der Landwirtschaft anzuwenden. Im Gegensatz zur Humanmedizin will der Bund in der Tiermedizin die Behandlungsrichtlinien für verbindlich erklären. Geplant sind Therapierichtlinien für jede Tierart. Eine antibiotikafreie Landwirtschaft sei jedoch unrealistisch, sagte Dagmar Heim vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Auch kranke Tiere hätten ein Recht darauf, dass sie behandelt würden. Ziel sei jedoch, den Verbrauch von Antibiotika zu reduzieren. Auch in Schweizer Flüssen lassen sich die multiresistenten Keime mittlerweile nachweisen. Gemäss einer Studie der Universität Zürich enthalten mehr als ein Drittel der Gewässer unter 1000 Metern multiresistente Keime. «Auffällig ist, dass dies besonders in urbanen Räumen der Fall ist», sagt Stephan. Denn vor allem die Kläranlagen würden die Erreger nicht vollständig herausfiltern. «Tier und Mensch stellen eine unzertrennliche Schicksalsgemeinschaft dar», sagt Xaver Sidler von der Abteilung Schweinemedizin am Tierspital der Universität Zürich über Antibiotikaresistenzen. Beide würden gemeinsam in einem Boot sitzen und somit überspitzt gesagt auch die Arche Noah gemeinsam auf den Abgrund zusteuern.
Isabel Hunger-Glaser, Geschäftsführerin der Fachkommission für biologische Sicherheit: „Die Landwirtschaft ist derart kommerzialisiert, dass die Bauern existenziell auf Antibiotika angewiesen sind. Doch das Problem ist, dass Tiere keine Maschinen sind. Eine Kuh, die 28 Liter Milch produziert, wird über kurz oder lang an einer Euter-Entzündung erkranken. Wenn ein Bauer sie nicht behandeln kann, sinkt sein Einkommen.“
Skandinavien als Beispiel für Spitalhygiene
Der Einsatz von Antibiotika kann aber auch gesenkt werden, indem Infektionen vermieden werden, etwa mit strikter Anwendung der Hygienemassnahmen in Spitälern. Auch die Grippeimpfung hilft aus Sicht des BAG, bakterielle Infekte zu vermeiden. Denn die von Viren ausgelöste Grippe wird oft begleitet von bakteriellen Infekten, die Lungenentzündungen auslösen. Eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit geht vor allem von MRSA-Bakterienstämmen aus. Die Bakterien (Staphylococcus aureus) kommen auf der Haut vor, ohne eine Erkrankung hervorzurufen. Bei geschwächtem Gesundheitszustand oder nach schweren medizinischen Eingriffen in Spitälern können die Bakterien jedoch schwere Infektionen auslösen. Bei den resistenten Stämmen helfen Antibiotika der ersten Wahl (Methicillin) meist nicht mehr, was die Behandlung schwierig macht. Die Schweiz liegt bei der Anzahl resistenter Bakterienstämme in der Humanmedizin im Mittelfeld. Die Situation ist laut BAG im Vergleich zu Frankreich, Italien, England sowie ost- und südeuropäischen Ländern besser. In Skandinavien und den Niederlanden treten jedoch weniger resistente Keime auf. Auch im Veterinärbereich bezeichnen die Behörden die Situation in der Schweiz als noch vergleichsweise gut. Allerdings bereitet hier das zunehmende Auftreten von Resistenzen gegenüber kritischen Antibiotikagruppen Sorgen.
Hunger-Glaser: „Viele Patienten verlangen explizit nach Antibiotika, selbst wenn es nicht angezeigt ist. Wenn sie es bei einem Arzt nicht erhalten, gehen sie zum nächsten oder bestellen es im Internet. Es ist wichtig, dass die Patienten erkennen, wie wichtig es ist, die Empfehlungen des Arztes und der Packungsbeilage zu berücksichtigen. Solange Antibiotika noch als Wunderheilmittel wahrgenommen werden, werden sich die Probleme verschärfen.“