Der Nationalrat befürwortet einen Geschlechterrichtwert für grosse börsenkotierte Unternehmen. Sind zu wenig Frauen an der Spitze, muss sich das Unternehmen erklären
Der Nationalrat sprach sich am Donnerstag mit hauchdünner Mehrheit für die Geschlechterrichtwerte aus: mit 95 zu 94 Stimmen bei 3 Enthaltungen. Dagegen waren die SVP und die FDP. Letztere stimmte aber nicht geschlossen. Im Rahmen der Aktienrechtsrevision beschloss der Rat folgende Richtwerte: Im Verwaltungsrat börsenkotierter Gesellschaften mit mehr als 250 Mitarbeitenden sollen mindestens 30 Prozent Frauen sitzen, in der Geschäftsleitung mindestens 20 Prozent.
Es wird nicht von einer Quote gesprochen
Sanktionen sind nicht vorgesehen: Erfüllt ein Unternehmen die Richtwerte nicht, muss es sich lediglich erklären. Im Vergütungsbericht müssen die Gründe sowie Massnahmen zur Verbesserung dargelegt werden, nach dem sogenannten Comply-or-explain-Ansatz. Aus Sicht der Befürworterinnen und Befürworter ist es deshalb falsch, von einer Quote zu sprechen.
SVP will ganze Aktienrechtsrevision ablehnen
Die Regeln sollen fünf Jahre nach Inkrafttreten des neuen Rechts gelten. Die vorberatende Kommission wollte eine befristete Regelung: Nach zehn Jahren sollten die Bestimmungen ersatzlos aufgehoben werden. Der Rat sprach sich aber mit 97 zu 94 Stimmen bei 1 Enthaltung für eine unbefristete Regelung aus. Die SVP will wegen der Geschlechterrichtwerte die gesamte Aktienrechtsrevision ablehnen. Natalie Rickli (SVP/ZH) warf die Frage auf, wie es möglich sei, dass ein bürgerlicher Bundesrat eine Frauenquote befürworte.
Frauen würden sich «überschätzen»
Für die Geschäftsleitung grosser börsenkotierter Unternehmen brauche es wirkliche Qualifikationen, stellte Rickli fest. Sie selbst würde diese nicht mitbringen. «Ich frage mich, ob gewisse Frauen sich nicht überschätzen», sagte Rickli. Natürlich gebe es auch Männer, die sich überschätzten, fügte sie an. Die Politik tue den Frauen indes keinen Gefallen, wenn sie eine Quote festlege.
«Wo ist denn das Problem?»
Martin Naef (SP/ZH) stellte fest, er komme ob des Widerstandes gewisser Herren und auch Damen nicht aus dem Staunen heraus. Dass gemischte Teams erfolgreich seien, stehe fest. Ebenso klar sei, dass in der Schweiz Handlungsbedarf bestehe. «Das ist nicht nur peinlich, sondern volkswirtschaftlich schädlich», sagte Naef. Ausserdem sei die Regelung an Harmlosigkeit nicht zu überbieten. «Ich verstehe die ganze Aufregung nicht», sagte Bernhard Guhl (BDP/AG). Es gehe um fünf oder sieben Jahre, in denen die Unternehmen einen Passus in den Vergütungsbericht schreiben müssten. «Wo ist denn das Problem?», fragte Guhl. Beat Flach (GLP/AG) empfahl den Gegnern, durchzuatmen. Es handle sich um eine weichgewaschene Regelung.
Betroffen seien etwa 200 Unternehmen
Justizministerin Simonetta Sommaruga stellte fest, es gebe viele bestens qualifizierte Frauen, die gute Arbeit leisteten. Dort, wo es um viel Geld und viel Macht gehe, seien die Frauen aber praktisch abwesend. In den Verwaltungsräten der grössten Unternehmen seien acht von zehn Mitgliedern Männer, in den Geschäftsleitungen neun von zehn. Der Männeranteil sei in letzter Zeit sogar noch gestiegen. «Von Fortschritt keine Spur.» Unter diesen Bedingungen sei der Bundesrat zum Schluss gekommen, dass er Transparenz schaffen wolle, sagte Sommaruga. Etwa 200 Unternehmen seien betroffen. Und kein Unternehmen werde mit dieser Bestimmung gezwungen, eine Frau oder einen Mann anzustellen. Die Justizministerin erinnerte auch an den Verfassungsauftrag zur Gleichstellung von Mann und Frau.
T.N.