In England machen junge Randalierer ihrem Ärger luft – hierzulande sind solche szenen undenkbar. Denn nichts liegt den schweizern zwischen 16 und 25 Jahren ferner, als eine Revolution anzuzetteln. Teil 1 der Reflexionen über die schweizer Jugend von Tijana Nikolic
Traditionelle Werte sind gemäss Studie für die Jungen wichtig: der Freundeskreis, eine gute Familie, eine erfüllte Partnerschaft, Ehrlichkeit und Treue. Für den Zürcher Soziologen Kurt Imhof (55) ist das zum Gähnen: «Es handelt sich um eine sehr konforme Jugend, man könnte auch sagen eine langweilige Jugend.» Seine Äusserungen sorgen für Unmut. Wie schaffen Schweizer Jugendliche den Übergang von der Schule ins Berufsleben oder in weiterführende Ausbildungen? Dieser Frage geht eine neue, gross angelegte Studie nach: 6000 junge Frauen und Männer sind dafür während sieben Jahren befragt worden. Sabine Bitter spricht mit dem Soziologen Thomas Meyer, der das für die Schweiz einmalige Forschungsprojekt als Co-Leiter begleitet hat. Thomas Meyer blickt auf den Werdegang der Schüler und kommt zum Schluss: Viele würden sich in einer guten Situation befinden.
Dennoch konstatiert Meyer, dass rund 15 Prozent der Jugendlichen auf der Strecke geblieben sind. Sie haben nach der obligatorischen Schulzeit keine Ausbildung absolviert. Dies ist von den strategischen Bildungszielen der Erziehungsdirektoren-Konferenz weit entfernt. Dies sollte den Jugendlichen allerdings zu denken geben, doch die meisten lässt das eher kalt. Das neue Jugendbarometer der Credit Suisse, vom Forschungsinstitut GFS Bern erstellt, unterstreicht: Am allerwichtigsten für die 16-25-Jährigen sind gute Freunde. Nichts vom neuen Konservativismushaben die Kirchen: Gerade mal 22 Prozent der U25-Generation fühlen sich einer Religionsgemeinschaft zugehörig, 68 Prozent können damit nichts anfangen. Und politisch müssen sich die Mitteparteien Sorgen machen: Die Jugend steht viel mehr auf die klaren Worte der Polparteien. 43 von 100 jungen Menschen in der Schweiz glauben, dass es einen Gott gibt, 58 Prozent gehen von einer höheren Macht aus. Doch nur einer von acht besucht den Gottesdienst monatlich oder häufiger.
Nur 27 Prozent der Befragten geben im neusten CS-Jugendbarometer an, sich eher oder sehr stark politisch zu engagieren. Ein Grund dafür: Die meisten Jugendlichen müssen sich keine grossen finanziellen Sorgen machen – und schauen dementsprechend optimistisch in die Zukunft. Als rechts ordnen sich 32 Prozent ein, als links 29, in der Mitte gefällt es nur 11 Prozent. Zum Rechtstrend passt, dass die Jungen die Ausländerfrage als grösstes Problem betrachten, gefolgt von Arbeitslosigkeit und Altersvorsorge. Viele ausländische Jugendliche haben dafür grosse Zukunftsängste, weil es leider auch heutzutage für Ausländer viel schwieriger ist in der Berufswelt Fuss zu fassen. Ein Müller hat nun mal grössere Chancen auf einen guten Arbeitsplatz als ein Stankovic. Doch an eine Revolution ist in einem fremden Land nicht zu denken, also nimmt man es so hin und schiebt den Frust vor sich her. Unsere Generation hat kaum noch Utopien. Viele sind mit ihrem Leben unzufrieden und schieben die Schuld dafür auf die Gesellschaft – ohne aktiv etwas dagegen zu unternehmen.
Soziologe Imhof sagt, er sei glücklich, in einer Generation aufgewachsen zu sein, in der Aufbrüche und Experimente eine grössere Rolle gespielt hätten. Er sagt: «Wir wissen, dass es in den 70er- und 80er-Jahren eine andere Jugend gab, und es wird auch in Zukunft wieder eine andere geben.» Jungen Schweizern geht das Geschwätz des Herrn Professor über fehlendes Revoluzzertum auf den Geist. Brenda Mäder (25), Jung FDP-Chefin, sagt: «Quatsch!» Viele Jugendliche seien zwar politisch nicht aktiv. «Doch sie haben sehr wohl eine Meinung: Auf Facebook äussern sie sich deutlich zu politischen Fragen. Auch die Globalisierung, der Irakkrieg oder die Finanzkriese waren diskutierte Themen. Nur übersieht das ein 55-jähriger Professor eben.» Doch Mäder mahnt auch: Nicht alle Jugendlichen seien angepasst, weil sie so zufrieden seien. «Manche getrauen sich auch nicht, aufmüpfig zu sein – obwohl sie dazu Grund hätten. Denn berufliche Aussichten hängen immer noch stark von der sozialen Herkunft ab.» Und nächste Woche in Teil 2: Die Schweizer Jugend vor 30 Jahren….