Die FDP will mehr Eigenverantwortung im Gesundheitswesen. Die Gegner befürchten finanzielle und gesundheitliche Risiken
«Wenn man mehr aus der eigenen Tasche bezahlt, überlegt man es sich zweimal, ob man zum Arzt geht oder nicht», sagt FDP-Nationalrätin Regine Sauter. Ziel sei es, die Eigenverantwortung zu stärken und der «Vollkasko-Mentalität» entgegenzuwirken. «Heute rennen gewisse Leute bei jeder Bagatelle zum Arzt, anstatt zuerst einmal ein Aspirin zu schlucken.» Die Bundeshaus-Fraktion der FDP fährt schweres Geschütz auf: Mit drei gleichzeitig eingereichten Vorstössen will sie den explodierenden Gesundheitskosten entgegenwirken. Die Idee: Die Mindestfranchise (heute 300 Franken) soll genauso erhöht werden wie die Maximalfranchise (heute 2500 Franken).
Die Franchise ist jener Teil der Gesundheitskosten, welchen die Versicherten jährlich selber bezahlen müssen. Hat eine Person also die tiefste Franchise von 300 Franken, muss sie Arztrechnungen und Medikamente bis zu dieser Grenze aus der eigenen Tasche berappen. Wählt sie eine höhere Franchise, gewährt ihr die Krankenkasse im Gegenzug Rabatte auf die Prämien. Geht es nach Sauter, könnte die höchste Franchise künftig bis zu 5000 Franken betragen. «Wenn jemand sagt, dass er seine Gesundheitskosten zu einem grossen Teil selber decken und dafür weniger Prämien bezahlen will, ist das doch prima.» Das komme auch der Allgemeinheit zugute. Bei der tiefsten Franchise schlägt die FDP eine Erhöhung auf mindestens 400 Franken vor. «Das ist überfällig, weil der Betrag seit zwölf Jahren nie mehr der Teuerung angepasst wurde.» Sie hoffe, das ganze bürgerliche Lager für die Idee gewinnen zu können, so Sauter.
Kein Verständnis von Bea Heim
Kein Verständnis für die Forderung hat SP-Gesundheitspolitikerin Bea Heim. Zwar sei es richtig, dass mit einer Erhöhung der Franchise die Leute eher zögerten, zum Arzt zu gehen. «Die Folgen könnten aber – in gesundheitlicher und finanzieller Hinsicht – negativ sein.» Verzichte ein Patient beispielsweise darauf, einen auffälligen Hautfleck abklären zu lassen, werde ein Hautkrebs vielleicht erst entdeckt, wenn er weit fortgeschritten sei. «Dann fallen die Kosten für die Behandlung wesentlich höher aus – und das Risiko, daran zu sterben, steigt.» Laut einer Studie der Universität Lausanne hat jeder zehnte Schweizer bereits einmal aus Kostengründen auf einen Arztbesuch verzichtet. Heim geht davon aus, dass dieser Anteil bei einer Anhebung der Mindestfranchise weiter steigen würde. «Personen mit schmalem Budget – insbesondere Leute in Ausbildung und Senioren – würden darunter leiden.» Es stimme nicht, dass Patienten bei jedem Schnupfen zum Arzt rennten. Und wenn, gebe es bessere Gegenmittel – etwa Hotlines, welche die Versicherten bei kleineren Gesundheitsproblemen beraten würden.
Gesundheitsminister Alain Berset (SP) hatte letzten Sommer sogar vorgeschlagen, weniger Prämienrabatte auf die höchsten Franchisen zu gewähren. Nach heftigen Protesten legte er das Vorhaben jedoch auf Eis. Felix Schneuwly, Krankenkassenexperte bei Comparis, begrüsst es, dass die FDP nun Gegensteuer gibt. Bei den jetzigen politischen Mehrheitsverhältnissen habe Bersets Variante vor dem Parlament oder dem Volk ohnehin keine Chance. «Ausserdem ist es nur richtig, wenn die Franchisen mindestens den steigenden Gesundheitskosten angepasst werden – sonst müssen die Versicherten bald fast nichts mehr selber zahlen.» Bei der Maximalfranchise schlägt Schneuwly gar vor, den Betrag nach oben offen zu lassen: «Wenn jemand viel Geld hat und eine Franchise von 10’000 Franken will, soll er diese bekommen.» Im Sinne der Solidarität dürfe der Prämienrabatt aber nicht beliebig hoch ausfallen, sonst werde das Krankenkassen-Obligatorium ausgehebelt.