Die grosse Mehrheit der Musliminnen und Muslime sind Teil der schweizerischen Gesellschaft, ihre Religionszugehörigkeit stellt sie nicht vor besondere Probleme im schweizerischen Alltag und führt selten zu Konflikten
Gemäss Expertenschätzungen leben zwischen 350 000 und 400 000 Musliminnen und Muslime in der Schweiz. Rund ein Drittel von ihnen verfügt über das Schweizer Bürgerrecht, viele (ehemalige) Migranten leben mittlerweile in der zweiten und dritten Generation in der Schweiz. Die überwiegende Mehrheit der eingewanderten Muslime stammt aus dem Westbalkan und der Türkei. In der Schweiz existiert keine eigentliche muslimische Gemeinschaft, sondern eine Vielzahl von verschiedenen Gemeinschaften. Diese unterscheiden sich vornehmlich nach ethnisch-nationaler und sprachlicher Zugehörigkeit und sind in der Regel untereinander wenig vernetzt.
Die Religionszugehörigkeit bildet für viele Musliminnen und Muslime nicht das wichtigste Merkmal ihrer Identität. Nur zwölf bis fünfzehn Prozent von ihnen praktizieren ihren Glauben, indem sie beispielsweise regelmässig eine Moschee besuchen. Dies geschieht grossmehrheitlich auf pragmatische Art und Weise. Insbesondere Muslime aus dem Westbalkan leben den Islam häufig eher im Sinne eines Brauchtums. Der Bericht zeigt auf, dass gravierende Probleme oder Differenzen religiöser Natur nur in Ausnahmefällen vorkommen und meist an eine Person gekoppelt sind.
Gleichwohl fühlen sich gemäss dem Bericht Menschen islamischer Religionszugehörigkeit oft in doppelter Weise als „Ausländer” und „Muslim” diskriminiert. Mit bestehendem Integrationsangebot auf allfällige Probleme reagieren
Die Erfahrungen im Alltag zeigen, dass gerade bei Muslimen mit Migrationshintergrund eher Sprachbarrieren und soziokulturelle Aspekte Hindernisse für die Integration darstellen als religiöse Fragen. Deshalb erachtet es der Bundesrat als nicht notwendig, spezifische Massnahmen zum Abbau von religiösen Differenzen zu ergreifen. Mit der schweizerischen Integrationspolitik könne man adäquat auf allfällige Integrationsprobleme von Menschen der islamischen Glaubensgemeinschaft reagieren, ist der Bundesrat überzeugt.
Der Bundesrat verzichtet deshalb auf spezifische Massnahmen, um religiöse Differenzen zwischen Personen unterschiedlichen Glaubens abzubauen: Mit den bestehenden Integrationsangeboten könne man adäquat auf allfällige Probleme reagieren.
Bund und Kantone engagieren sich zudem bereits dafür, den Schutz vor Diskriminierung zu verstärken und institutionelle Schranken abzubauen. Beispielsweise sollen die Bevölkerung, relevante Institutionen und auch potenzielle Opfer besser über das geltende Recht informiert werden. Kantone, Gemeinden und Städte ihrerseits pflegen bereits heute den interreligiösen Dialog und suchen pragmatische Lösungen.
Nach der Annahme der Volksinitiative „Gegen den Bau von Minaretten” am 29. November 2009 wurden drei Postulate im Nationalrat eingereicht. Der Bundesrat beschloss 2010, den gewünschten vertieften Informationen zur muslimischen Bevölkerung in der Schweiz mit dem heute publizierten Bericht Rechnung zu tragen.
Fakten über Muslime in der Schweiz;
Die in der Schweiz lebenden Muslime teilen sich zwar eine gemeinsame Religion, unterscheiden sich aber dennoch insbesondere in ihrer Auffassung des Islams. Die Bandbreite reicht von liberalen, weltlichen und modernen Auffassungen bis hin zu streng konservativen Ansichten. Dementsprechend gibt es in der Schweiz mehr als 30 verschiedene muslimische Vereine und Verbände mit über 180 Moscheen, welche nicht alle die gleichen Praktiken teilen und auch nicht alle gleich gläubig sind. Aufgrund dieser Vielfältigkeit kann trotz dichtem Netz an Vereinen und Kulturzentren kein Verband für alle sprechen. Wie viele Muslime ihren Glauben intensiv praktizieren ist unklar.
Erwartungshaltung
Schweizer erwarten grundsätzlich von Muslimen eine gewisse Anpassung an die lokalen Gegebenheiten. Umgekehrt erwarten Muslime, dass sie ihre Religion in der Schweiz frei ausüben können. Während einige Erwartungen unbestritten sind, bestehen bei anderen unterschiedliche Ansichten darüber, wie weit sich Muslime an die schweizerische Kultur anpassen sollen bzw. inwieweit sie ihre Religion frei ausüben dürfen. Unbestritten ist, dass sich Muslime wie alle anderen Bürger auch an die hier geltenden Gesetze halten müssen. Dazu gehört insbesondere auch, dass sie die Demokratie und den Rechtsstaat respektieren und strikte Trennung von Religion und Staat akzeptieren. Gleichzeitig garantiert die Verfassung die Religionsfreiheit und verbietet die Diskriminierung Andersgläubiger.
Kopftuch
In der Schweiz trägt heute nur eine kleine Minderheit der Musliminnen ein Kopftuch. Und vollständig verhüllte Frauen sind nur sehr selten anzutreffen. Das hat damit zu tun, dass der Grossteil der Muslime, die heute in der Schweiz leben, ursprünglich aus dem Balkan und der Türkei kommt. Vor allem auf dem Balkan spielt die Religion im Vergleich zu anderen muslimischen Ländern eine weniger dominante Rolle.
Umstritten ist das Tragen des Kopftuches bzw. die vollständige Verhüllung in der Schweiz, weil es als religiöses Symbol, mangelnde Integrationsbereitschaft oder auch als Zeichen der Unterdrückung der Frau aufgefasst wird. Aus diesem Grund fordern einige Schweizer Nicht-Muslime unterschiedlich weit gehende Kopftuchverbote. Heute wird das Tragen eines Kopftuchs bei der Wahrnehmung einer staatlichen Funktion bereits eingeschränkt. Eine Lehrerin oder eine Beamtin vertritt bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben den Staat, der gemäss Verfassung selbst religionsneutral sein muss. Aus diesem Grund wird Staatsangestellten sehr häufig das Tragen religiöser Symbole jeglicher Art verboten. Gleichzeitig ist es aber z.B. Schülerinnen erlaubt, in der Schule ein Kopftuch zu tragen.
Für ein generelles Verbot des Kopftuchs im öffentlichen Raum (z.B. im öffentlichen Verkehr oder beim Einkaufen) gibt es in der Schweiz keine rechtliche Grundlage. Gesetzliche Kleidervorschriften jeglicher Art würden dem liberalen Geist der Schweiz wiedersprechen und wären wohl auch kaum mit der Verfassung zu vereinbaren.
Dispensationen vom Schulunterricht
Anlass zur Diskussion geben auch die Schuldispensationen von Muslimen. In den meisten Fällen betreffen Dispensationsgesuche von muslimischen Schülern religiöse Feiertage des Islams wie z.B. den Bayram. In einigen Fällen fordern Eltern muslimischer Kinder aus religiösen Gründen aber auch die Dispensation ihrer Töchter vom Schwimmunterricht und von Klassenlagern. Ausserdem werden Dispensationen ihrer Kinder von Teilen des Biologieunterrichts gefordert.
Für die Gegner von solchen Dispensationen sind sie unnötige Sonderbehandlungen und führen nur zur Ausgrenzung der betroffenen Kinder. Umstritten sind dabei vor allem die Dispensationen vom Schwimmunterricht und von Teilen des Biologieunterrichts, da sie zum obligatorischen Schulplan gehören. Kritisiert werden Dispensationen vor allem auch dann, wenn sie das Gleichstellungsgebot missachten, also Mädchen gegenüber den Jungs benachteiligt werden.
Moscheen und Minarette
Gläubige Muslime sind für die Ausübung ihrer Religion auf den Besuch einer Moschee angewiesen und erwarten deshalb, dass es ihnen auch in der Schweiz ermöglicht wird, Moscheen zu bauen. Minarette sehen die meisten Muslime zwar lediglich als Symbol islamischer Tradition und als Orientierungshilfe, aber grundsätzlich dennoch als Bestandteil einer Moschee. Einige Nicht-Muslime lehnen den Bau von neuen Moscheen und insbesondere von Minaretten ab, da sie den Machtanspruch und die zunehmende Ausbreitung des Islams repräsentieren würden.
Solange sich geplante Moscheen an die geltenden Raumplanungs- bzw. Bauvorschriften halten, wird ihr Bau in der Schweiz nicht weiter eingeschränkt. Der Bau von weiteren Minaretten ist allerdings seit der Annahme der Minarett-Initiative im November 2009 in der Schweiz verboten.
Imame
Ein Imam ist bezüglich seiner Stellung mit einem Pfarrer zu vergleichen. Imame spielen in der Diskussion um den Islam eine wichtige Rolle, weil sie diejenigen sind, die den islamischen Glauben an die Bevölkerung vermitteln.
Für die gläubigen Muslime, die regelmässig eine Moschee besuchen, ist es deshalb von grosser Bedeutung, genügend Imame in der Schweiz zu haben.
Da die Imame einen zentralen Einfluss auf die Wertvorstellungen der Gläubigen haben können, befürchten einige Nicht-Muslime, dass extremistisch orientierte Imame zu Terrorismus aufrufen könnten. Dass es einzelne solche Imame gibt, die den Islam für politische Zwecke und eigene Ideologien missbrauchen, ist unbestritten. Der Grossteil der Muslime, insbesondere derer in der Schweiz lebenden, distanziert sich aber von Gewalt im Namen der Religion.