Caritas Bern ist sehr besorgt ab der heute bekannt gewordenen Stossrichtung der Teilrevision des kantonalen Sozialhilfegesetzes. Der Kanton entzieht sich zunehmend seiner sozialpolitischen Verantwortung und überlässt es den Hilfswerken und anderen privaten Akteuren, sich um sozial Benachteiligte zu kümmern
Der Grundbedarf in der Sozialhilfe ist eine Bedarfsleistung. Dieser wird von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) wissenschaftlich abgestützt und mit den Kantonen und Gemeinden festgelegt. Der Grundbedarf beträgt 986 Franken pro Monat für einen Ein-Personen-Haushalt, im Kanton Bern liegt der aktuell geltende Ansatz noch etwas tiefer. Mit Ausnahme der Wohn- und Gesundheitskosten müssen Sozialhilfebeziehende von diesem Betrag ihren täglichen Lebensunterhalt finanzieren. Nun will die Kantonsregierung den Grundbedarf kollektiv um 10 Prozent kürzen. Dadurch würde sich die finanzielle Situation der Sozialhilfebeziehenden im Kanton Bern deutlich verschärfen.
Kürzungen für viele Sozialhilfebeziehende
Caritas Bern begrüsst den Vorschlag, die Integrationszulagen (IZU) und die Einkommensfreibeträge (EFB) zu erhöhen. Erfahrungen zeigen, dass ein solches Anreizsystem durchaus eine positive Wirkung erzielen kann. Allerdings dürfen diese Erhöhungen nicht zu Lasten des Grundbedarfs gehen. Die Kantonsregierung blendet mit ihren Vorgaben die strukturellen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt aus. Dieser bietet zu wenig Stellen für Niedrigqualifizierte. Auch bei einem tieferen Grundbedarf werden viele Sozialhilfebeziehende trotz aller Bemühungen keine Stelle finden. In den Genuss erhöhter Integrationszulagen und Einkommensfreibeiträge dürften also nur Wenige kommen, während mit dem neuen System sehr viele Sozialhilfebeziehende von Kürzungen betroffen wären und für den täglichen Bedarf deutlich weniger Geld zur Verfügung hätten.
Druck erzäugt besseren Spracherwerb
Für vorläufig Aufgenommene und Personen ohne genügend Sprachkenntnisse sieht die Kantonsregierung noch einschneidendere Massnahmen vor. In einzelnen Fällen mag zusätzlicher Druck zu besseren Ergebnissen beim Spracherwerb führen, in vielen anderen hingegen bringen die betreffenden Personen die notwendigen schulischen Fähigkeiten nicht mit oder die beschränkten Mittel in der Integrationsarbeit lassen keine besseren Resultate zu. Die SKOS-Richtlinien erlauben dabei bereits heute umfassende Sanktionsmassnahmen im Falle von Nichtkooperation von Sozialhilfebeziehenden. Caritas Bern erachtet das geltende Sanktionsregime für wirksamer als kollektive Kürzungen beim Grundbedarf. Die Reduktion des Grundbedarfs in der Sozialhilfe mag zu einem kurzfristigen Spareffekt beim Kanton führen. Langfristig untergräbt ein solches Vorgehen das System der sozialen Sicherheit und führt lediglich zu einer Kostenverschiebung vom Staat zur privaten Wohltätigkeit, wie sie von Kirchen oder Hilfswerken geleistet wird. Diese Verlagerung ist stossend und widerspricht demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien.
Tijana Nikolic