Alle reden von Ärztemangel, und doch gab es noch nie so viele berufstätige Ärzte in der Schweiz wie heute. Das zeigen die Zahlen der Ärzteverbindung FMH, die gestern in der «Schweizerischen Ärztezeitung» publiziert wurden. Im vergangenen Jahr arbeiteten demnach 33242 Ärzte in der Schweiz, das sind 1384 mehr als im Vorjahr (siehe Grafik). Gut die Hälfte der Ärzte sind in einer Einzel- oder Gruppenpraxis tätig, der Rest in Spitälern oder Heimen. Ein kleiner Teil (1,7 Prozent) arbeitet in einem anderen Sektor, etwa für Versicherungen oder Verbände. 71 Prozent der Ärzte haben einen schweizerischen Studienabschluss. Der Anteil Frauen unter den Ärzten liegt bei 38,6 Prozent. Er nimmt weiter zu, denn inzwischen schliessen mehr Frauen als Männer das Medizinstudium ab.
Der steigende Frauenanteil ist einer der Gründe, weshalb trotz mehr Ärzten von einem drohenden oder bereits bestehenden Mangel die Rede ist: Frauen arbeiten oft Teilzeit. 73,2 Prozent der Ärztinnen, die in einer Praxis tätig sind, arbeiten laut FMH nicht Vollzeit. Bei den Männern sind es 31 Prozent. Als ein weiterer Grund gelten die gestiegenen Ansprüche, weil die Medizin immer mehr leisten kann, aber auch weil die Bevölkerung älter wird. Auf einen wichtigen Aspekt weist zudem die Schweizerische Universitätskonferenz hin: Es müsse gelingen, den Ärzten jene Fachrichtungen und Arbeitsorte schmackhaft zu machen, bei denen es einen Mangel gibt. Sonst bringe es nichts, wenn man einfach immer mehr Ärzte ausbilde. So fehlen hauptsächlich Hausärzte in den Randregionen, nicht aber Spezialisten in den Zentren. Im Jahr 2012 arbeiteten laut FMH durchschnittlich 4 Ärzte pro 1000 Einwohner. Das liegt über dem OECD-Durchschnitt von 3,2. Im Jahr 1960 gab es lediglich 1,4 Ärzte auf 1000 Einwohner. Die Ärztedichte ist kantonal jedoch sehr unterschiedlich (siehe Grafik). Der Kanton Basel-Stadt hatte die höchste Ärztedichte, Uri und Appenzell-Innerrhoden hatten die tiefste. Das widerspiegelt sich in den Kosten. 2012 hatte Basel-Stadt die höchste Durchschnittsprämie bei den Krankenkassen, jene in Uri und Appenzell-Innerrhoden gehörten zu den tiefsten.
Es sollen mehr Ärztinnen und Ärzte ausgebildet werden
Bund und Kantone haben sich auf das Ziel geeinigt, ab 2018/2019 jährlich zusätzlich rund 300 Ärztinnen und Ärzte auszubilden. Die Zahl der Ausbildungsplätze soll in den kommenden Jahren sukzessive erhöht werden. Bund und Kantone seien sich einig, dass sonst in einigen Jahren ein Ärztemangel drohe, sagte Gesundheitsminister Alain Berset heute Abend vor den Medien. Unmittelbar drohe zwar kein Mangel, sagte Carlo Conti, der Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK). Bereits in 15 Jahren könnte es aber grosse Schwierigkeiten geben, und die Medizin-Ausbildung dauere lange. Die Kosten für die zusätzlichen Studienplätze belaufen sich auf mindestens 56 Millionen Franken jährlich. Wer sie trägt, ist noch offen. Eine Arbeitsgruppe soll sich nun mit dieser Frage befassen, wie Berset sagte. Möglich wäre, dass der Bund einen zusätzlichen Teil seiner Grundbeiträge an die Universitäten einsetzt. Es handle sich um Bildungsausgaben, nicht um Gesundheitsausgaben, betonte Conti. Die Gelder könnten im Rahmen der Kredite für Bildung, Forschung und Innovation eingeplant werden. «Es ist aber klar, dass auch die Kantone gefordert sind.»
Offen ist auch noch, an welchen Universitäten die zusätzlichen Plätze geschaffen werden sollen. Die Arbeitsgruppe wird prüfen, ob nebst den bestehenden fünf medizinischen Fakultäten weitere aufgebaut werden sollen. Ausserdem stellt sich die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass die «richtigen» Ärztinnen und Ärzte ausgebildet werden. Fest steht, dass es vor allem Hausärztinnen und Hausärzte braucht. Es komme nicht in Frage, 300 zusätzliche Spezialärzte auszubilden, sagte Berset. Dass sich mehr Studentinnen und Studenten für die Hausarztmedizin entscheiden, will der Gesundheitsminister mit dem «Masterplan Hausarztmedizin» erreichen, den er im Juni vorgestellt hatte. Bereits in der medizinischen Grundausbildung soll der Hausarztberuf mehr Gewicht erhalten. Berset will aber auch finanzielle Anreize schaffen, um den Beruf attraktiver zu machen. So soll das Tarifsystem TARMED revidiert werden, damit die Hausärzte nicht mehr so viel weniger verdienen als Spezialisten. Bereits angepasst hat Berset die Labortarife.
Zu den Zielen und Plänen verabschiedete der «Dialog Nationale Gesundheitspolitik» von Bund und Kantonen heute einen Bericht. Dass zu wenig Ärztinnen und Ärzte ausgebildet werden, ist schon lange bekannt. Bis in zehn Jahren sind drei Viertel der heute praktizierenden Hausärzte pensioniert. Immer mehr Mediziner aus dem Ausland zu holen, ist für Berset keine Option. Die Fachleute in den Nachbarländern ausbilden zu lassen, könne nicht das Ziel sein, sagte der Gesundheitsminister. «Das ist keine Politik.»