35 Kinder sind mit der Forderung abgeblitzt, die neue HIV-Kampagne «Love Life» müsse sofort verboten werden
Die Begründung für das Verbot: Die Kampagne und vor allem die in ihrem Rahmen verbreiteten bildlichen und filmischen Darstellungen seien in hohem Mass geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu gefährden und zu beeinträchtigen. Die Kampagne müsse sofort gestoppt werden. Mit der fortlaufenden Kampagne würde ihre Wirkung ständig verstärkt und vertieft. Kinder und Jugendliche seien sonst weiterhin schutzlos diesen schädlichen Veröffentlichungen ausgesetzt. Dem Interesse am Schutz der Kinder und Jugendlichen vor einer fortgesetzten Schädigung ihrer geistigen und sexuellen Integrität und Entwicklung komme ein hohes Gewicht zu. Demgegenüber habe die vorübergehende Einstellung der Kampagne keine gravierenden Nachteile. Die Kinder hatten das Begehren am 22. Juli an das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gerichtet. Auslöser war ein TV-Spot, der am 13. Mai auf verschiedenen Sendern ausgestrahlt worden war – sechs Tage, bevor die eigentliche Plakatkampagne überhaupt startete. Gefordert wurde nicht nur die «umgehende Beendigung der laufenden Kampagne». Es sollte auch festgestellt werden, «dass die bereits erfolgten Bild- und Tondarstellungen sexueller Handlungen in den Medien widerrechtlich erfolgten». Das BAG trat auf die Forderungen nicht ein, worauf sich die Kinder ans Bundesverwaltungsgericht wandten. Dieses sollte «als vorsorgliche Massnahme» die Kampagne verbieten, ohne dem Bundesamt Gelegenheit zu geben, dazu Stellung zu nehmen. Das Gericht wies dieses Rechtsbegehren ab. Es prüfte aber in einer 14-seitigen Zwischenverfügung trotzdem, ob die Kampagne vorläufig eingestellt werden muss.
Bundesverwaltung lehnt ab
Sogenannte vorsorgliche Massnahmen können beispielsweise dann ergriffen werden, wenn dadurch ein Schaden vermindert oder verhindert werden kann. Folgte man im konkreten Fall den Argumenten der Kinder, könnte die Weiterverbreitung der Kampagne zum Schutz der Kinder vorübergehend verboten werden. Ob die Kampagne grundsätzlich widerrechtlich ist und damit gar nie hätte lanciert werden dürfen, ist damit noch in keiner Weise entschieden. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte es aber ab, die Kampagne «Love Life – Bereue nichts» vorübergehend zu verbieten. Selbstverständlich stehe es jeder Person frei, die Darstellungen sexueller Handlungen im Rahmen der Kampagne «als anstössig oder geschmacklos zu werten». Es sei aber «eher fraglich, ob sie tatsächlich geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in hohem Masse zu gefährden und zu beeinträchtigen». Es sei nicht ersichtlich, inwiefern die sexuellen Darstellungen zur Nachahmung verleiten sollten. Die behauptete Gefährdung sei deshalb «rein hypothetischer Natur». Dies auch deshalb, weil die Kampagne inzwischen in den Medien ausgelaufen sei und nur noch auf der eigens eingerichteten Website weitergeführt werde. Insbesondere aber seien die Kinder der Kampagne auch nicht schutzlos ausgesetzt. Die entsprechende Website könne von den Eltern «mit relativ einfachen technischen Mitteln gesperrt werden». Das Gericht verkniff sich auch einen Seitenhieb auf die Eltern nicht: Der Zweck der sexuellen Darstellungen sei «auch für Kinder und Jugendliche durch die fürsorgepflichtigen Eltern nachvollziehbar erklärbar». Schliesslich wies das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass an der Prävention und dem Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten ein «gewichtiges öffentliches Interesse» bestehe. Eine entsprechende Kampagne mit umfassender Aufklärung entspreche nicht nur einem Auftrag des Gesetzgebers, sondern liege auch «im Interesse von noch nicht sexuell aktiven Kindern und Jugendlichen». Da es sich im vorliegenden Fall erst um eine Zwischenverfügung handelt, steht ein Urteil in der Hauptsache noch aus. Dabei geht es noch nicht um die Frage, ob die Kampagne widerrechtlich ist, sondern bloss um die Frage, ob das Bundesamt für Gesundheit zu Recht auf das Begehren der Kinder nicht eingetreten ist.
Kinder zu nichts gezwungen
Ist ein Vierjähriger in der Lage, eine Anti-Aids-Kampagne samt ihrer Bildkraft richtig zu erfassen und einzuordnen? Diese Frage stellt sich, nachdem 35 Kinder und Jugendliche zwischen 4 und 17 Jahren deren sofortige Einstellung verlangt haben. 12 der Kinder sind unter 10 Jahre alt, vier sind 7-jährig oder jünger. Sie alle gehören zu Familien aus dem Umfeld der Stiftung Zukunft CH. Diese christliche Organisation beanstandet nicht nur die HIV-Kampagne des Bundesamts für Gesundheit (BAG), sondern kritisiert die gesamte Politik des BAG, das sie «von der Homo-Lobby unterwandert» sieht. Die Stiftung setzt sich gemäss eigenen Angaben für eine «Aufwertung der Familie» ein und bekämpft die «schleichende Einführung der Scharia» in der Schweiz. Dominik Lusser von Zukunft CH bestreitet, dass die Eltern und die Stiftung die Kinder für ihre Zwecke eingespannt haben: «Die Eltern wollen ihre Kinder vor einer schädlichen Kampagne schützen. Das ist legitim.» Offen lässt Lusser indes, ob sich Kinder über die Kampagne eine fundierte Meinung bilden können. Tatsache sei, dass die Eltern ihre Kinder «zu nichts gezwungen haben», versichert er. Vom abschlägigen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts zeigt sich Lusser enttäuscht. Ihre Hoffnungen setzt die Organisation nun auf das Hauptverfahren, das noch offen ist. An ihrer Kritik hält sie unvermindert fest: «Es ist nicht Sinn und Zweck staatlicher Präventionskampagnen, derart anstössige Inhalte aufzuschalten, dass man Kinder davor schützen muss», sagt Lusser. Die Kampagne stelle eine «grosse Gefahr» dar, weil sie einer Propaganda für einen hemmungslosen Lebensstil gleichkomme, der Sexualität auf Lust reduziere. Lusser wirft dem BAG vor, Gesellschaftspolitik statt Präventionsmedizin zu betreiben. Die Gefährdung der Kinder sei auch nicht rein hypothetischer Natur, wie das Bundesverwaltungsgericht argumentiere, sagt er weiter. Die Kampagne werde zwar nur noch auf der Website des BAG weitergeführt, erziele dort aber viel Aufmerksamkeit. Auch sei es «naiv zu glauben», man könne die Kinder von der Seite fernhalten, indem die Eltern sie mit technischen Mitteln sperrten.