Eine MS-Patientin baute zuhause Hanf an, um ihre Schmerzen zu lindern. Deswegen wurde sie zu einer Geldstrafe verurteilt
Immer wieder versuchen Befürworter in der Schweiz, Marihuana zumindest teilweise zu legalisieren. Im vergangenen Jahr wurde über Clubs diskutiert, in denen Hanf legal, jedoch in begrenzten Mengen abgegeben werden dürfe. Auch die Abgabe für medizinische Zwecke wird immer wieder thematisiert. Eine Lösung ist bisher jedoch noch nicht in Sicht.
Es löste ihre Muskelkrämpfe
Die 46-jährige Marie-Claude Massandy-Kaech aus Romont FR leidet an Multipler Sklerose. Um die Muskelkrämpfe und die Schmerzen zu lindern, begann sie Cannabis zu rauchen. Es sei ein deutlich wirksameres Arzneimittel als jene, die ihr offiziell verschrieben wurden, sagt sie zur Zeitung «La Liberté». Denn diese hätten kaum gegen die Schmerzen geholfen. «Ich hatte schreckliche Krämpfe und konnte nicht länger als anderthalb Stunden am Stück liegen.» Die Medikamente hätten zudem starke Nebenwirkungen hervorgerufen: «Ich litt an einer Harnverhaltung und hatte Angstzustände.» Deshalb sei sie irgendwann auf Cannabis umgestiegen. Sofort seien die Schmerzen verschwunden, erklärt sie. Das Kiffen habe keine Nebenwirkungen hervorgerufen. «Ich brauchte auch keine Schlaftabletten mehr.»
Drogenbeschafftung sorgt für enormes Schuldgefühl
Nachdem sie sich den Hanf eine Zeit lang auf der Strasse besorgt hatte, begann Massandy-Kaech selbst anzubauen. Das rief allerdings die Polizei auf den Plan. Die sechs Pflanzen auf ihrem Balkon wurden auf der Stelle von den Beamten konfisziert und vernichtet. Wegen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz erhielt sie eine Busse von 100 Franken. Doch Massandy-Kaech wollte für den medizinischen Zweck von Cannabis kämpfen und legte eine Beschwerde ein. Der Richter liess sich jedoch nicht umstimmen. Gesetz sei Gesetz, hat er ihr gestern bei der Urteilsverkündung erklärt. Im Übrigen habe der Staatsanwalt die Krankheit berücksichtigt. Die Geldstrafe sei deshalb vorwiegend symbolisch gemeint. «Wir können die Busse wirklich nicht tiefer ansetzen», pflichtete auch der Richter bei. Nach diesem Urteil hat sich die 46-Jährige nun entschlossen, ihre Beschwerde nicht weiterzuziehen. Sie habe sie aus Prinzip eingereicht, erklärte sie der Zeitung. Zudem benutze sie seit Anfang Jahr ganz legal einen teuren Cannabis-Spray, der von der Krankenkasse bezahlt wird. Trotzdem gibt Massandy-Kaech nicht auf: «Nicht jeder hat diese Möglichkeit», bedauert sie. Damit die Krankenkasse den Spray bezahlt, brauche es eine Zusatzversicherung. Man dürfe nicht vergessen, dass es betagte Leute gebe, die das Cannabis auf der Strasse kaufen müssen. «Für diese Leute will ich kämpfen und die Öffentlichkeit über das Problem informieren.» Massandy-Kaech hofft, dass medizinisch verschriebenes Cannabis eines Tages in Apotheken erhältlich sein wird. «Sich den Hanf auf illegale Weise zu beschaffen, verursacht ein enormes Schuldgefühl. Das ist für kranke Menschen viel Stress und Aufregung.»
Ruth Dreifuss setzt sich für Legalisierung ein
Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss stellt sich auf die Seite der Club-Befürworter. Diese gehören zu einer Arbeitsgruppe von Fachleuten aus den Reihen der Polizei, der Suchtprävention und der Sozial- und Gesundheitsdienste, welche die Städte Basel, Bern, Zürich und Genf vertreten. «Sie setzt sich für das Projekt ein und bemüht sich um ein offizielles Mandat von der Genfer Kantonsregierung, um Cannabis-Vereine gründen zu dürfen», sagt der Genfer Soziologie-Professor Sandro Cattacin, der das Projekt leitet zur «NZZ am Sonntag». Die ehemalige Gesundheitsministerin nehme sich der Aufgabe an, ihren Parteikollegen Alain Berset, der heute dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) vorsteht, von den Clubs zu überzeugen. Das BAG hatte im Sommer Skepsis gegenüber dem Projekt angedeutet. Man sehe – ausserhalb von Therapien und medizinischer Anwendung – kaum rechtlichen Spielraum, um eine Bewilligung zu erteilen. Diese hat nun eigene Juristen auf das Problem angesetzt, um einen anderen Standpunkt auszuarbeiten.Cannabis-Vereine sollen nach dem Vorbild der Clubs in Barcelona ihren Mitgliedern eine bestimmte Menge der Droge legal abgeben dürfen. Die Idee, die in der Schweiz zuerst in Genf aufgebracht wurde, findet in den Städten regen Anklang, ist aber umstritten. Das Projekt soll auch Symbolwirkung haben, sagt Cattacin. «Wenn die Stadtkantone Genf und Basel und Städte wie Zürich und Bern das Projekt vorantreiben, müsste das politische Wirkung erzielen.»