Ein Dokument zeigt, dass ÖV-Benutzer künftig zehn Prozent mehr für ihr GA bezahlen sollen
Laut internen Dokumenten der Tariforganisation CH-Direct soll das Generalabonnement (GA) zum Fahrplanwechsel im Dezember 2021 um 10 Prozent teurer werden und neu 4250 Franken kosten, berichtet der «Beobachter». In der Branche bricht ein Streit auf. Kurz nach Bekanntwerden der Pläne liess die SBB verlauten, sie setze sich für «stabile, möglichst sinkende Preise» ein. Im Papier seien Möglichkeiten aufgezeigt worden, Entscheide seien noch nicht gefallen. SBB-Chef Andreas Meyer hat zuletzt wiederholt betont, dass höhere Preise gefährlich seien für den öffentlichen Verkehr. «Die Preise anpassen, ja. Aber nicht nach oben», sagte er kürzlich zu «NZZ Standpunkte».
GA konkurrenziert mit Abos
Auf eine Preiserhöhung dürften vor allem die Verkehrsverbünde pochen. Ihnen entgehen wegen des vergleichsweise günstigen GA Einnahmen. «Wenn der Preisunterschied zwischen dem Verbundabo und dem GA gering ist, wechseln Kunden zum GA», sagt Thomas Kellenberger vom Zürcher Verkehrsverbund.
«Die Verbundtarife können damit ab einem gewissen Punkt selbst bei markanten Ausbauten des Angebots von S-Bahnen, Trams oder Bussen nicht mehr angepasst werden.» Das führe zu höheren Defiziten und somit «negativen Folgen für die Steuerzahler». So könne sogar die Bereitschaft für weitere notwendige Ausbauten sinken.
«Das wäre nicht in unserem Sinn», so Kellenberger. Schon heute seien die Kosten des Regionalverkehrs in den Verbünden «bei weitem» nicht durch Ticketeinnahmen gedeckt. Das Defizit müsse von der öffentlichen Hand getragen werden.
«Preiserhöhung kann positive Folgen haben»
Sabine Krähenbühl von CH-Direct sieht weitere positive Folgen einer GA-Preiserhöhung.
Im Gegenzug könnten nämlich die Preise für andere oder neue Produkte und Angebote gesenkt werden. «Daraus ergäbe sich die Möglichkeit, neue Kunden für den ÖV zu gewinnen und ihn insgesamt besser auszulasten.»
Einzelticket-Preise tendenziell zu hoch
Auf lange Sicht sei es denkbar, Preisanpassungen beim GA vorzunehmen. ÖV-Kunden empfänden Einzelticket-Preise tendenziell als hoch, während die Preise für Vielreisende mit GA eher tief seien. «Letzteres betrifft etwa den typischen Zürich–Bern-Pendler, der auch in der Freizeit reist und so mit seinem GA jährlich rund 60’000 Kilometer zurücklegt.»
«Der ÖV verändert sich zum Negativen»
Diese Logik kommt nicht überall gut an. Die Präsidentin von Pro Bahn, Karin Blättler, kritisiert die geplante GA-Verteuerung: «Der ÖV verändert sich zum Negativen, ein Sparprogramm jagt das nächste.
Nach dem laufenden Abbau bei den Serviceleistungen sollen nun also auch die treuesten Kunden abgestraft werden», sagt sie. Laut Blättler bröckelt das Erfolgsmodell des ÖV seit knapp zwei Jahren. Vor allem die Zuverlässigkeit leide.
«Im Hinblick auf die aktuelle Klimadiskussion setzt die Branche mit solchen Verteuerungsplänen ein völlig falsches Signal. Statt die breite Bevölkerung für den ÖV zu gewinnen und zu halten, hat man es auf die Kernkundschaft abgesehen.» Diese Rechnung gehe nicht auf. Pro Bahn setze alles daran, die geplanten Preisanpassungen zu verhindern.
Mehr Augenmass gefordert?
Auch CVP-Nationalrat Martin Candinas sagt: «Eine Preiserhöhung für das GA um 10 Prozent ist zu massiv und der falsche Ansatz.» Es sei aber nicht Aufgabe der Politik, sich in die Preisgestaltung der Branche einzumischen. Er betont, dass es sich bei der diskutierten Verteuerung nur um einen von vielen möglichen Vorschlägen handle. «Ich begrüsse es, dass sich die Branche laufend Gedanken über Angebot und Preisgestaltung macht.» Solche einschneidenden Änderungen benötigten jedoch Augenmass.
«Das wäre ein Super-GAU»
«Unser hervorragend funktionierendes ÖV-System darf nicht durch zu schnelle und zu grosse Veränderungen sein gutes Image riskieren. Eine Verlagerung des Verkehrs von den Schienen auf die Strasse muss auf jeden Fall verhindert werden», sagt Candinas. «Denn das wäre ein Super-GAU.»
Tijana Nikolic
foto: SBB