Weil Studenten nach dem Uni-Abschluss vermehrt Teilzeit arbeiten, sollen sie ihre Studienschulden dem Staat zurückzahlen, fordert Ökonom Stefan Wolter
Sie investieren Jahre in eine gute Ausbildung, dennoch arbeiten junge Hochschulabsolventen nach dem Studium vermehrt in einem Teilzeitpensum: Statt nur im Büro zu sitzen, frönen sie lieber auch ihren Hobbys. Zahlen des Bundesamts für Statistik belegen, dass 2013 fünf Jahre nach dem Abschluss rund ein Drittel der Studienabgänger weniger als 100 Prozent arbeitet. Von 2007 bis 2013 hat sich die Zahl der Masterabsolventen, die fünf Jahre nach dem Studium in einem 50-bis-90-Prozent-Pensum arbeiten, von 26,6 Prozent auf über 30 Prozent erhöht. Die Pensen zwischen 90 und 100 Prozent nahmen in der gleichen Zeit von 70 Prozent auf 65,5 Prozent ab. Der zunehmende Anteil an teilzeitarbeitenden Akademikern bleibt nicht ohne Konsequenzen. «Nicht nur fehlen der Wirtschaft dadurch wichtige Fachkräfte, auch lohnt es sich für den Staat irgendwann nicht mehr, in die Ausbildung zu investieren», warnt Stefan Wolter, Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung. Bereits bei einem Pensum von 50 bis 60 Prozent kippe diese sogenannte Bildungsrendite ins Negative, sagt der Ökonom gegenüber der «Neuen Zürcher Zeitung». Ein Studienplatz kostet den Staat heute im Schnitt 23‘000 Franken pro Jahr – hochgerechnet auf fünf Jahre schuldet ein Student dem Staat damit rund 115’000 Franken. Zwischen den Fachrichtungen existieren allerdings erhebliche Unterschiede. Für eine Medizinausbildung muss der Staat mit 45‘000 Franken jährlich fast fünfmal so viel hinblättern wie etwa für ein Wirtschaftsstudium.
Geistes- und Sozialwissenschaftler sind die Bösen
Besonders hoch ist die Teilzeitarbeit bei den Geistes- und Sozialwissenschaftlern: Fünf Jahre nach dem Abschluss waren 2013 rund 55 Prozent der Masterabsolventen in einem Teilzeitpensum beschäftigt, bei den Medizinern waren es 24,3 Prozent, bei den Wirtschaftswissenschaftern 15 Prozent. Stefan Wolter befürchtet, dass Studienabgänger aufgrund der «Work-Life-Balance» in Zukunft noch mehr Teilzeit arbeiten. Das belaste nicht nur den Staat, sondern verschärfe auch den Fachkräftemangel. «Studenten, die sich freiwillig entschliessen, weniger als hundert Prozent zu arbeiten, sollen das tun dürfen, aber nicht auf Kosten der Gesellschaft.» Wolter fordert darum, dass solche Personen ihre Schulden in Form eines virtuellen Kredits dem Staat zurückbezahlen müssen. Arbeite etwa ein Arzt weniger als 100 Prozent oder in einem Job, der nicht seinen Qualifikationen entspreche – etwa als Taxifahrer – bezahle er aufgrund des geringeren Gehalts auch weniger Steuern. Die Differenz zum Steuerbetrag, den er als vollzeiterwerbstätiger Arzt erbringen müsste, könnte künftig mit einer «Strafsteuer» ausgeglichen und auf das virtuelle Konto einbezahlt werden. «Ist das Darlehen einmal vollständig durch die höheren Steuerbeträge und die Erwerbsbeteiligung zurückbezahlt, würden die Leute davon befreit und könnten tun und lassen, was sie wollen.»
Bildungsexperte findet die Idee „interessant“
Unter Bildungsexperten stösst die Idee nicht nur auf Wohlwollen. «Wirtschaftlich gesehen macht ein solcher Kredit vielleicht Sinn», sagt SP-Nationalrat Matthias Aebischer. Für ihn sei dieser Aspekt aber nicht vorrangig. «Viel entscheidender ist es, dass man all diejenigen, welche eine gute Ausbildung genossen haben, zurück in den Job bringt.» Und das heisse eben auch, dass es mehr Teilzeitstellen für Frauen und Männer brauche. Stefan Vannoni, Bildungsexperte von Economiesuisse, findet die Idee zwar «interessant». Fragezeichen habe er aber vor allem hinsichtlich der Berechnung. «Es ist schwierig, den richtigen Preis für diese Rückerstattung zu finden.» Laut Vannoni wäre es besser, wenn die Studenten von Beginn weg einen grösseren Teil der Studiumskosten selbst bezahlen würden: «Das Studium soll eine Investition sein, kein reiner Konsum.» Durch das weiter verbesserte Stipendienwesen der Schweiz sei der Zugang zu einer Hochschule auch für sozial schlechter Gestellte nicht gefährdet, «doch zusätzlich könnte so auch noch die Abbruchquote gesenkt werden».
Tijana Nikolic