Autofahrer sollen künftig 100 statt 40 Franken für die Autobahnvignette bezahlen. SVP-Politiker wollen das verhindern
Jetzt erhalten sie Unterstützung im Referendumskampf – von Grünen, die sich gegen den Bau neuer Strassen wehren.
Noch drei Monate haben die beiden SVP-Nationalräte Walter Wobmann und Nadja Pieren Zeit; dann müssen die beiden Referendumsführer 50 000 gültige Unterschriften gegen die vom Parlament beschlossene Verteuerung der Autobahnvignette von 40 auf 100 Franken gesammelt haben. Mit diesen Mehreinnahmen – 305 Millionen Franken pro Jahr – will der Bund 387 Kilometer Kantonsstrassen neu ins Nationalstrassennetz aufnehmen und unterhalten. Sukkurs erhalten die beiden SVP-Politiker unter anderem von ihrer Partei und dem Gewerbeverband. Mit den Massnahmen will der Bund die Erschliessung aller Landesteile mit Strassen von nationaler Bedeutung langfristig sicherstellen. Da der letzte Bundesbeschluss über das Nationalstrassennetz – der sogenannte Netzbeschluss – aus dem Jahr 1960 datiert, dränge sich eine umfassende Anpassung auf, argumentiert der Bundesrat.
Gegen die Preiserhöhung auf 100 Franken votiert haben im Parlament nebst dem Grossteil der SVP die Grünen. Vergeblich hatten sie für einen Anstieg auf maximal 80 Franken plädiert. «Die so erzielten Mehreinnahmen würden ausreichen, um Unterhaltsarbeiten und Lärmschutzmassnahmen zu realisieren», sagt Co-Präsidentin Regula Rytz. Die Erhöhung auf 100 Franken generiere hingegen zusätzliche Mittel für den Ausbau der Nationalstrassen. Trotzdem werden die Grünen den SVP-Politikern in der Sammelphase keinen Support leisten, weil die Partei ihre Kräfte für den Abstimmungskampf zur Asylgesetzrevision bündeln will. Kommt das Vignettenreferendum zustande, wird Rytz der Basis indes empfehlen, es zu unterstützen. Nun erwartet sie weitere Schützenhilfe – von der anderen Seite des politischen Spektrums: Der Zentralvorstand des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS) unterstützt das Referendum, wie der «Bund» aus gut informierter Quelle weiss. Offen ist, wie geschlossen und stark sich der VCS engagieren wird. Den Entscheid fällt die sogenannte Planungskonferenz, in der alle Sektionen, der Zentralvorstand und die Mitglieder der Geschäftsleitung vertreten sind. Doch schon jetzt stehen erste Exponenten der Zürcher VCS-Sektion auf der Strasse und sammeln Unterschriften. Die Thurgauer wollen ebenfalls mithelfen, wie VCS-Präsidentin Franziska Teuscher bestätigt.
Anders als die SVP-Politiker, welche die Autofahrer vor «purer Abzockerei» bewahren wollen, treibt die VCS-Exponenten ein anderes Motiv an: Umweltschutz. «Grundsätzlich sollte das umweltbelastende Autofahren teurer werden», sagt Paul Stopper, Mitglied des VCS-Zentralvorstands und ehemaliger LdU-Kantonsrat in Zürich. Gleichwohl sprächen gewichtige Gründe gegen die Preiserhöhung. Die Mehreinnahmen aus der 100-Franken-Vignette flössen in den Strassenbau. «Dies führt zu erweiterten und neuen Strassen und damit zu mehr motorisiertem Verkehr.» In der Tat übernimmt der Bund nicht nur bestehende Kantonalstrassen, sondern auch mehrere Ausbauvorhaben der Kantone, so die Umfahrungen Näfels GL, Le Locle und La Chaux-de-Fonds – beide NE. Neu im Nationalstrassennetz fungiert die Oberlandautobahn (ZH). Deren Bau verzögert sich jedoch, nachdem das Bundesgericht das Projekt aus Gründen des Moorschutzes an den Zürcher Regierungsrat zurückgewiesen hat. Vorderhand übernimmt der Bund auf diesem Abschnitt die Strassen im heutigen Zustand, also die Ortsdurchfahrten. Grüne Kreise befürchten, dass die Kantonsbevölkerung bei Projekten unter Kontrolle des Bundes künftig nichts mehr zu sagen hat. Der Bundesrat behält sich zudem vor, dem Parlament weitere «bedeutende Projekte» zur Aufnahme ins Nationalstrassennetz zu beantragen, etwa die geplante Glattalautobahn (ZH) und die Umfahrung Morges VD.
Die SP ist sich nicht einig
Auch die Grünliberalen stemmen sich gegen den Aufschlag, weil sie ein Mobilitypricing mit leistungs- beziehungsweise kilometerabhängigen Gebühren statt Pauschalen bevorzugen. Zudem spüle die Preiserhöhung auch Geld für eine zweite Gotthardröhre in die Kasse, warnt Präsident Martin Bäumle. Das Bundesamt für Strassen (Astra) weist diese Befürchtung jedoch als substanzlos zurück. Trotz gemeinsamen Ziels ist noch nicht klar, ob die GLP den SVP-Politikern in den kommenden Wochen unter die Arme greifen wird. Einen Graben zieht die Frage durch die SP. Eine Mehrheit der Nationalratsfraktion (26:18) hat sich für die 100 Franken ausgesprochen, so auch Roger Nordmann (VD). Er hält es für sinnvoll, die Kantone finanziell zu entlasten. Zudem seien gewisse Ausbauten nötig, etwa die Umfahrungen von Le Locle und La Chaux-de-Fonds. Dieser Positionsbezug hat im VCS dem Vernehmen nach für Verärgerung gesorgt – Nordmann ist Vizepräsident des VCS; dies umso mehr, als die beiden Kandidatinnen für die Nachfolge von Teuscher – Evi Allemann (SP) und Aline Trede (Grüne) – gegen die Erhöhung gestimmt haben. Wie stark die grünen Kräfte den SVP-Politikern Schützenhilfe leisten sollen, ist umstritten. Kritiker im VCS warnen davor, allzu forsch gegen die Strassenpläne des Bundes aufzutreten. Sonst drohe die Retourkutsche des Volks bei der Abstimmung über die VCS-Volksinitiative «Für den öffentlichen Verkehr». Der VCS will die Einnahmen der zweckgebundenen Mineralölsteuer jeweils zur Hälfte der Strasse und der Schiene zugutekommen lassen. Heute gehen 25 Prozent an die Bahn – der grosse Rest an die Strasse.
Der Bundesrat will das Nationalstrassennetz um total 387 Kilometer erweitern – dies dank der Übernahme kantonaler Strassen sowie bedeutender Ausbauvorhaben der Kantone. Dies trägt nach Einschätzung des Bundesrats dazu bei, den Wirtschaftsstandort Schweiz zu stärken. Fast 40 Prozent der jährlichen Fahrzeugkilometer des motorisierten Individualverkehrs verkehren heute auf den Nationalstrassen. Von den Neuerungen erwartet der Bundesrat keine «namhaften verkehrlichen Auswirkungen» wie etwa mehr Stau oder einen Umstieg von Bahnreisenden auf das Auto. Um das Projekt zu finanzieren, soll der Preis für die Autobahnvignette von heute 40 auf 100 Franken pro Jahr steigen. Geplant ist zudem eine Zweimonatsvignette zum Preis von 40 Franken. Sie ist vor allem für Touristen gedacht.