Immer häufiger übernehmen Kunden heute Aufgaben, die früher von Angestellten erledigt wurden. Bringt das Vor- oder Nachteile?
In Supermärkten ist Self-Checkout auf dem Vormarsch, bei Flügen muss der Passagier das Gepäck selber einchecken und auch das Zugticket gibt es heute meist am Automaten statt am Schalter. Laut offiziellen Angaben sind bis Ende 2015 bei der Migros 235 Filialen mit Self-Scanning und Self-Checkout-Automaten ausgerüstet, während es bei Coop bis Ende 2015 rund 150 sein sollen. Die Unternehmen loben das Angebot auf ihren Websites in den höchsten Tönen. Coop empfiehlt die Automaten Leuten, die «wenig Artikel und wenig Zeit» haben, während die Migros ihren Kunden verspricht «mühelos jede Warteschlange an der Kasse» umgehen zu können.
Dem Konsumentenschutz ist die Entwicklung allerdings ein Dorn im Auge: «Die Kunden werden dabei vielfach ausgenützt», sagt Leiterin Sara Stalder. Die Unternehmen würden so viel Arbeit wie möglich an den Konsumenten delegieren. Dass man etwa durch Self-Checkout Zeit spare, sei oftmals nur Schönrederei: «Ein eingearbeiteter Angestellter ist, besonders bei grossen Einkäufen, viel schneller als ein Kunde.» Dazu komme, dass ein Unternehmen durch solche Massnahmen Personal und somit Kosten einsparen könne, die Gewinne aber dem Kunden nicht weitergebe. «Wenn das Unternehmen Kosten einspart, muss der Kunde davon profitieren können.»
«Das ist eine berechtigte Forderung», sagt Wirtschaftspsychologe Christian Fichter. Er glaube aber, dass der Markt dies regeln wird: «Wahrscheinlich wird ein Joghurt zwar nicht von heute auf morgen billiger, doch vielleicht können durch die Ersparnisse zukünftige Preiserhöhungen vermieden werden.»
Verkäufer haben da eine andere Sicht
Ein Mitarbeiter einer Self-Scanning Filiale, der seinen Namen nicht verraten möchte, findet das alles totalen Quatsch. „Erstens Mal haben wir Verkäufer etwa dreifach mehr Arbeit dadurch. Die Konsumenten waren jahrelang so verwöhnt von den Verkäufern, dass sie es teilweise nur schwer auf die Reihe bringen, ihre Einkäufe selber zu scanen“, meint er verärgert. Es sei unglaublich wie Konsumenten mit der Zeit verblöden und einfachste Abläufe, welche alle detailliert auf dem Bildschirm der Self-Scan Kassen erklärt werden, nicht zustande bringen, tobt der Zürcher weiter. Eigentlich sollten wir mehr Lohn bekommen für diesen Mehraufwand oder am besten Schmerzensgeld“, lacht er. So könne die Zeit auch nicht eingespart werden, im Gegenteil sogar, die Kunden bräuchten meist viel mehr Zeit. „Erst wenn die Kunden es schaffen ihren Einkaufskorb korrekt auf dem Stapel vor ihrer Nase zu versorgen oder die EC-Karte rauszunehmen und wieder reinzustecken, wenn sie nicht gleich funktioniert, können wir über irgendwelches Ausnützen reden“, mein er verärgert. „Und zweitens musste in der Filiale in der ich arbeite, niemand wegen den neuartigen Kassen entlassen werden“, tobt er weiter. „Denn wir benötigen an Tagen, an den wir eine grosse Kundenfrequenz haben, auch Mitarbeiter, die die Self-Scan Kassen im Auge behalten und wie gesagt, den Kunden am besten noch das Essen vorkauen, weil es ansonsten zu kompliziert wäre“, meint der 26-Jährige. Die Filialen, die tatsächlich Personal wegen den neuen Kassen entlasten musste, würden diese Ersparnis gleich wieder verlieren, weil sie für die unbemerkten Diebstähle bei den Self-Scan Kassen draufgehen würden. „Die Aussagen des Konsumentenschutzes sind einfach reine Panikmacherei“, ist er sich sicher.
„Wenn Verkäufer ihren Job verlieren ist das eben Teil der Markentwicklung“
Eine Gefahr von Self-Checkout-Automaten könne sein, dass die Kassierer durch die Automaten ersetzt werden und so ihren Job verlieren. «Doch das ist halt Teil der Entwicklung des Marktes“, findet Fichter. „Das ist eine bodenlose Frechheit“, findet der Verkäufer, der unerkannt bleiben will. „Wenn wir unsere Jobs verlieren, dann sei das eben die Entwicklung aber die Kunden sind die armen gequälten, die ja so viel mehr machen müssen“, sagt er weiter. Man sollte am besten einen Aufpreis berechnen für eine Totalbedienung, findet der junge Verkäufer. Denn so müssten die Kunden keinen Finger mehr krumm machen und die Verkäufer könnten weniger Stunden arbeiten, dadurch gäbe es mehr Schichten und dadurch wiederum mehr Arbeitsplätze, aber trotzdem noch einen humanen Lohn.
Durch Fortschritt werden auch neue Arbeitsstellen entstehen
Karin Frick, Forschungsleiterin am Gottlieb Duttweiler Institut, ist der Meinung, dass die Belohnung für die Kunden der Zeitgewinn sei. Dass der Kunde immer mehr selber machen müsse, sei eine logische Entwicklung: «Zuerst wurde die Produktion von Waren automatisiert, nun erleben wir die Automatisierung von Dienstleistungen.» Was den möglichen Verlust von Arbeitsstellen angeht, macht sich Frick keine grossen Sorgen: «Durch den Fortschritt der Technik werden auch neue Jobs entstehen.» Sowohl Migros, als auch Coop gaben auf Anfrage allerdings an, durch ihre Self-Checkout-Systeme nicht weniger Personal zu beschäftigen. Deshalb würden die Automaten keine Einsparungen mit sich bringen, von denen die Kunden profitieren könnten. Weiter pflichtet Migros-Sprecherin Monika Weibel, Frick bei: «Die Belohnung für den Kunden ist auch aus unserer Sicht, die Zeitersparnis.» Frick glaubt, dass die Kunden künftig wieder entlastet werden: «Im Moment befinden wir uns noch in der Phase der Verlagerung der Aufgaben auf den Kunden.» Doch danach könnten viele Aufgaben wieder vom Kunden weg, auf eine Art elektronischen Assistenten verlagert werden: «Ich kann mir eine Weiterentwicklung von Siri vorstellen, die für uns einkauft oder gar Ferien bucht.» Fichters Vision ist ähnlich: «Wahrscheinlich werden wir eine Art Chip in unseren Handys haben, der direkt alles scannt, was wir in unseren Einkaufswagen legen und wir so einfach aus dem Laden spazieren können.» Die Bezahlung der gekauften Ware würde dann direkt über das Mobiltelefon stattfinden.
Migros-Sprecherin Monika Weibel gibt sich bedeckt: «In absehbarer Zeit wird es keine grossen Veränderungen mehr geben, abgesehen vielleicht von einer neuen Generation von Hand-Scannern.» Auch Coop will seine Pläne nicht verraten: «Wir interessieren uns aber immer für neue Technologien», so Sprecherin Nadja Ruch.