Dank der «Body Positivity»-Bewegung steht bei vielen Frauen Abnehmen nicht mehr auf der Liste von Neujahrsvorsätzen
Die 28-jährige Anna Rosenwasser hat genug: Ab diesem Jahr gehört das Abnehmen nicht mehr zu ihren Neujahrsvorsätzen. «Dicksein und Glücklichsein, Zunehmen und Schönsein sind keine Gegensätze», schreibt die Aktivistin auf Facebook. Dazu postet sie ein Bild von sich, das sie strahlend an einem Event zeigt. Es wird über 200-mal gelikt. «Unsere Gesellschaft ist durch eine regelrechte Körperobsession geprägt. Dabei stehen Körperideale im Zentrum, die alles andere als gesund sind», so Rosenwasser.
«Verliere nicht an Gewicht sondern an Selbsthass»
Mit Rosenwasser kämpfen Tausende junge Frauen im neuen Jahr unter den Hashtags #bodypositivity gegen die traditionellen Diätvorsätze. Sie teilen auf Instagram etwa Posts wie diesen: «You don’t need to start a diet today», «Let 2019 be the year about finding and accepting you!» oder «New Year, absolutely no need for a New You because you’re super». Die User werden dazu aufgerufen, im neuen Jahr nicht Kalorien zu zählen, sondern zu lächeln. Man solle nicht Kohlenhydrate aufgeben, sondern negatives Denken. Nicht das Gewicht solle man verlieren, sondern den Selbsthass.
#bodypositivity
Die Body-Positivity-Bewegung wächst stetig. Inzwischen zeigt Instagram fast 11 Millionen Beiträge unter den Hasthtags #bodypositivity oder #bodypositive an. Da erscheinen einerseits Bilder von vollen Oberschenkeln, die weder frei von Celluliten noch perfekt rasiert sind. Andererseits findet man Fotos von Schokoladentorten und jungen Frauen, die stolz reinbeissen. Schliesslich ziert der Hashtag #bodypositivity Sprüche wie diesen: «Wie wäre es, wenn wir unseren Körper dafür lieben, was er tut, und nicht dafür, wie er aussieht?»
Unsicherheiten beflügeln Weltwirtschaft
Rosenwasser, die froh darüber ist, dass die Bewegung immer sichtbarer wird, sagt: «Für mich bedeutet «Body Positivity», dass jeder Körper richtig ist und keiner falsch. Es geht darum, dass wir viel zu viel Zeit damit verschwenden, uns Gedanken darüber zu machen, ob wir schön sind oder nicht. Wie wäre es, wenn uns das einfach mal egal ist?» Dann bliebe uns viel mehr Zeit übrig für andere Aktivitäten, beispielsweise ein schönes Essen mit einem lieben Date.
Wirtschaft profitiert ungemein von Unsicherheiten
Mit der Unsicherheit, die durch die kaum erreichbaren Schönheitsideale entstehe, liesse sich viel Geld machen, so Rosenwasser. Die Wirtschaft profitiere ungemein von den zahlreichen Menschen, die haufenweise Zeit und Geld investierten, um ihren Körper zu verändern. Rosenwasser verweist auf ein Zitat der britischen Feministin Laurie Penny: «Wenn alle Frauen dieser Erde morgen früh aufwachten und sich in ihren Körpern wirklich wohl und kraftvoll fühlten, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen.»
«Fett ist langfristig nie gesund»
Eine der wenigen, die «Body Positivity» öffentlich kritisch gegenübersteht, ist die Kolumnistin Tamara Wernli. Die Bewegung drifte ins Lächerliche ab, hält sie in einem Youtube-Video fest. «Ursprünglich, als die Bewegung als Protest gegen den Schönheitswahn und gegen untergewichtige Models gestartet ist, habe ich sie für sinnvoll gehalten. Dann ist sie irgendwann aber aus dem Ruder gelaufen, als Aktivistinnen begannen, starkes Übergewicht in der Öffentlichkeit zu feiern und es schönzureden», sagt Wernli zu 20 Minuten.
Gegner sprechen von einem ungesunden Lifestyle
«Fette Körper sind nicht schön, vor allem aber sind sie nicht gesund. Indem man sie in der Öffentlichkeit prominent bewirbt, suggeriert man, dass starkes Übergewicht und Adipositas gut seien», so Wernli weiter. Body Positivity rede den Leuten ein, dass sie nichts ändern sollten, und fördere so einen ungesunden Lifestyle. Grundsätzlich sei es aber durchaus positiv, dem eigenen Körper mit Akzeptanz zu begegnen und mit sich im Reinen zu sein. Für Cellulite oder Übergewicht sollte man sich nicht schämen, sagt Wernli. Aber: «Gleichzeitig ist es aber auch erstrebenswert, durch etwas Disziplin und Sport auf sich zu achten.» Pfunde schönzureden sei halt aber einfacher.
«Es hat meine Essstörung geheilt»
Morena Diaz, bekannt als Morenita, ist das Schweizer Aushängeschild von «Body Positivity». Die Lehrerin hat bereits ein Buch zum Thema geschrieben und verdankt der Bewegung viel. «Ich war lange Zeit in einer Spirale von Diäten, Fressattacken und Selbsthass gefangen. Durch «Body Positivity» konnte ich mich aus dieser schlimmen Zeit befreien.» Für Diaz bedeutet «Body Positivity» vor allem Akzeptanz und Toleranz. Es gehe darum, sich selber und seinen Körper so zu akzeptieren, wie er sei, und auch im Umgang mit anderen toleranter zu werden.
Keiner wolle Übergewicht glorifizieren
Keinesfalls aber wolle die Bewegung Übergewicht glorifizieren, so Diaz. Aber: «Einer übergewichtigen Person ist nicht geholfen, wenn sie immer wieder damit konfrontiert wird, dass sie ungesund und falsch sei.» Es gebe eine grosse Vielfalt an Körpern in der Gesellschaft, und es sei wichtig, dass diese in der Öffentlichkeit entsprechend vertreten würden. Laut Diaz ist die Diätmentalität aber tief verankert: «Es ist sehr wichtig, dagegenzuhalten. Ich muss schon meinen 7-jährigen Schülerinnen erklären, dass Essen nichts Böses ist, sondern ein Genuss, und dass es guttut.»
Tijana Nikolic