AussenseiterEdvard Munch ist mit mehr als zwölf Gemälden im Kunsthaus Zürich vom 04.10.2013–12.01.2014 vertreten, der grössten Werkgruppe ausserhalb Norwegens
Munch gilt als Bahnbrecher für die expressionistische Richtung in der Malerei der Moderne. In Deutschland und Mitteleuropa genoss er früh den Ruf eines Epoche machenden Neuschöpfers, und heute sind seine Eigenart und sein Status schon längst im übrigen Europa und in der Welt anerkannt. Am bekanntesten sind die Werke Munchs aus den 1890er Jahren.
Edvard Munch wuchs in der norwegischen Hauptstadt Oslo auf, die zu seiner Zeit Kristiania hieß. Sein Vater Christian Munch war ein tief religiöser Militärarzt mit bescheidenem Einkommen. Seine zwanzig Jahre jüngere Frau Laura Catherine Bjølstad, gebar ihren Sohn Edvard mit 27 Jahren und starb mit 33 Jahren an Tuberkulose, als Edvard fünf Jahre alt war. Edvard selbst war von schwacher Gesundheit, aber nicht er, sondern seine ältere Schwester Sophie war das nächste Opfer der Schwindsucht. Seine jüngere Schwester Laura war wegen „Melancholie“ (Depression) in Behandlung. Edvard Munch selbst hatte eine bipolare Störung (manisch-depressive Erkrankung). Von den fünf Geschwistern heiratete nur sein Bruder Andreas, kurz darauf verstarb er jedoch. Das Elternhaus war kulturell anregend – es sind jedoch die Eindrücke von Krankheit, Tod und Trauer, zu denen Munch in seiner Kunst hauptsächlich zurückkehrt. Edvard Munch war zu seiner Zeit ein Skandalkünstler. Ungewohnt offen widmete er sich Themen wie der Sexualität und der Sehnsucht nach Nähe, der Einsamkeit und den Abgründen, die sich zwischen Liebenden öffnen können.
Doch auch die Person Edvard Munchs scheint manchen Zeitgenossen befremdet zu haben. Als er 1922 von Italien nach Zürich reisen wollte, um an der Eröffnung seiner grossen Einzelschau im Kunsthaus teilzunehmen, wurde er von den Polizeibeamten in Mendrisio aufgehalten.
Das Ereignis beeindruckte den damaligen Kunsthaus-Direktor Wilhelm Wartmann so sehr, dass er es sogar im Katalog zur Ausstellung vermerkte. Doch nicht nur Munchs Begegnung mit der Polizei beschäftigte Wartmann und seine Equipe. Ganze zehn Jahre stellte Wartmann dem expressiven Norweger nach, bis dieser endlich einwilligte, in Zürich auszustellen.
Für das 1910 eröffnete Kunsthaus Zürich war die Munch-Schau ein grandioser Coup. Es war, laut dem heutigen Kunsthaus-Direktor Christoph Becker, der «Turning Point», der das neue, noch unbekannte Ausstellungshaus zu einem Kunstort mit Ausstrahlung machte: Mit Munch kam die klassische Moderne nach Zürich.
Verschiedenste Motive
Die Musik auf der Strasse gehört zu seinen ersten vollgültigen Werken. In ihrer hellen, lockeren Malweise erscheint die Szene zunächst den Strassenbildern der französischen Impressionisten verwandt. Doch die rasante Perspektive von den ganz nahen, grossen Figuren über die trotz der an die Häuser gedrängten Menge und der Militärmusik merkwürdig leer wirkenden Strasse erzeugt eine psychologische Spannung, die Munch wenige Jahre später im Schrei ins Extreme steigern wird. Durch den nachträglich in die untere Ecke gesetzten roten Schirm übertönte er das atmosphärische Sonnenlicht. Wie ein Schemen schiebt sich der Kopf eines Knaben davor, der vom Geschehen ausgeschlossen bleibt; wie Munch später bemerkte, verarbeitete er hier eine Jugenderinnnerung.
Bis Heute fühlt sich das Kunsthaus dem Künstler besonders verbunden. In den Depots des Museums lagert die grösste Munch-Sammlung ausserhalb Norwegens. Ein Teil dieser Sammlung ist nun in einer Jubiläumsschau zum 150. Geburtstag Munchs zu sehen. Die Zürcher Schau rückt die Grafiken des Künstlers ins Zentrum der Aufmerksamkeit. «Der Kuss», «Der Schrei» oder die laszive «Madonna», die von zeitgenössischen Betrachtern als obszön und schockierend empfunden wurden, sie alle tummeln sich in der eindrucksvollen Schau. Als kantig-kraftvolle Holzschnitte oder feinlinig nervöse Lithografien. Denn seine Motive hat Munch stets in verschiedenen Techniken bearbeitet. Vom berühmten «Der Schrei» existieren beispielsweise je zwei Versionen in Tempera und in Öl. Und einige Lithografien. In seinen Grafiken gelingt Munch eine Verdichtung seiner existenziellen Themen. Die Auseinandersetzung mit Ängsten und seelischen Schmerzen gewinnen durch die harten Linien und reduzierten Farben an expressiver Kraft und Dringlichkeit.
Das Auktionshaus Sotheby’s hat den «Schrei» von Edvard Munch für fast 120 Millionen Dollar verkauft. Das Bild löst damit den Picasso ab, der bis anhin den Rekord gehalten hat.
Munch litt vor allem an der Verständnislosigkeit seiner Zeitgenossen. Und er litt an seiner Heimat Norwegen. Dennoch vermachte der Maler Edvard Munch seinen Nachlass der Stadt Oslo und wurde posthum zum eigentlichen Vorzeigekünstler seines Landes.
Tijana Nikolic