Eine spezielle Ernährung mit einem hohen Anteil an kurzkettigen Fettsäuren könnte helfen, Diabetes vorzubeugen. Forschern der Universität Melbourne in Australien gelang jetzt in einer umfangreichen Studie an Mäusen ein entsprechender Nachweis
Die Wissenschaftler verabreichten Tieren, die normalerweise innerhalb weniger Wochen an Diabetes vom Typ 1 erkranken, im Experiment als Teil ihrer Diät größere Mengen an kurzkettigen Fettsäuren – und verhinderten so einen Ausbruch von Diabetes. “Die Forscher führen dies auf den direkten Einfluss der kurzkettigen Fettsäuren auf die Immunzellen zurück, deren Angriff für die Zerstörung der Beta-Zellen verantwortlich ist”, schreibt das Ärzteblatt, das über die Publikation der Studie in dem Fachmagazin “Nature Immunology” berichtet.
700 Millionen Diabetiker in 20 Jahren
Bis zu 700 Millionen Diabetiker wird es in 20 Jahren weltweit geben, schätzt die Weltgesundheitsorganisation. Bereits heute sind rund 350 Millionen betroffen. In Deutschland, so die Prognosen, steigt die Zahl der Zuckerkranken bis zum Jahr 2030 von heute sechs Millionen auf dann acht Millionen an. Die meisten Betroffenen, etwa 95 Prozent, sind hierzulande dem Typ 2 zuzuordnen. Übergewicht, Bewegungsmangel und eine falsche Ernährung gelten als Hauptrisikofaktoren einer Diabeteserkrankung vom Typ 2. Rund 300.000 Menschen in der Bundesrepublik leiden an der selteneren Form, dem Diabetes vom Typ 1. Dieser tritt vor allem im Kindes- und Jugendalter auf und ist eine Autoimmunerkrankung. Das Immunsystem greift dabei die körpereigene Insulinproduktion in der Bauchspeicheldrüse an, indem es die Zellen zerstört, die das Insulin produzieren, die so genannten Beta-Zellen. Dadurch entsteht ein Insulinmangel. Die meisten Betroffenen müssen sich deshalb lebenslang Insulin spritzen.
Ein Meilenstein der Forschung
Die australischen Wissenschaftler führen die positiven Ergebnisse ihrer Studie zur Prävention von Diabetes Typ 1 auf die Wirkung der kurzkettigen Fettsäuren auf die Bakterien im Darm zurück. Eingesetzt wurden in dem Experiment Acetat, ein Salz der Essigsäure, und Butyrat, ein Salz der Buttersäure. Essigsäure und Buttersäure bilden gemeinsam mit der Propionsäure die Gruppe der kurzkettigen Fettsäuren.
Konkret belegen konnten die Mediziner in Australien, dass durch das Acetat die Zahl der autoreaktiven T-Zellen zurückging. Diese greifen die Beta-Zellen an, die das Insulin produzieren. Die Butyratgabe hatte zur Folge, dass die Zahl der regulatorischen T-Zellen anstieg. Diese sind im Immunsystem wichtig, um Autoimmunerkrankungen zu verhindern. Diese Ergebnisse sind ein weiterer Meilenstein in der Forschung zu kurzkettigen Fettsäuren: Sie könnten bedeuten, dass eine spezielle Diät langfristig eine schützende Wirkung bei Diabetes Typ 1 bietet. Ein nächster Schritt könnte nun eine klinische Studie mit Kindern und Jugendlichen sein.
Insulinproduktion in Bauchspeicheldrüse ankurbeln
Bereits in den neunziger Jahren hatten Wissenschaftler nachgewiesen, dass kurzkettige Fettsäuren dabei helfen können, die Insulinproduktion in der Bauchspeicheldrüse anzukurbeln und gleichzeitig die Empfindlichkeit der Körperzellen gegenüber Insulin zu erhöhen – und damit auch dem Diabetes Typ 2 (“Alterszucker”) vorzubeugen. Das habe besonders bei Übergewichtigen Bedeutung, sagt Professor Wolfram Sterry, langjähriger Klinikdirektor an der Berliner Charité. “Hier wissen wir heute, dass es bei der Zuckerkrankheit zu einer ungünstigen Verschiebung in der Zusammensetzung der Darmbakterien kommt”, so der Mediziner. In Modellen sei bereits nachgewiesen worden, dass bei der Zufuhr kurzkettiger Fettsäuren trotz fettreicher Ernährung kein Diabetes entsteht.
Forscher aus China, Dänemark, Schweden und Deutschland fanden bei Typ-2-Diabetikern – neben einer insgesamt reduzierten Vielfalt an Darmbakterien – insbesondere einen Rückgang von Bakterien, die kurzkettige Fettsäuren wie Buttersäure oder Propionsäure bilden. Diese Fettsäuren werden vom Darm aufgenommen und vom Körper verwertet. “Dies hat normalerweise einen günstigen Einfluss auf den Blutzucker”, sagt Professor Günter Stalla, Leiter der Inneren Medizin, Endokrinologie und Klinischen Chemie am Max-Planck-Institut für Psychiatrie München. “Der Mangel an diesen Bakterien könnte deshalb die Blutzuckerstörung beim Typ-2-Diabetes verstärken”, so der Mediziner.
Rolle von kurzkettigen Fettsäuren wird untersucht
Bundes- und weltweit laufen derzeit bereits eine ganze Reihe an Studien, die die Rolle kurzkettiger Fettsäuren für die menschliche Gesundheit genauer untersuchen. “Es besteht die begründete Hoffnung, dass die Salze der kurzkettigen Fettsäuren in Zukunft helfen können, Autoimmunerkrankungen oder auch andere Entzündungskrankheiten wirkungsvoller zu behandeln”, glauben die Medizin-Professoren Dr. Ralf Gold und Dr. Aiden Haghikia von der Klinik für Neurologie der Ruhr-Universität Bochum. Beide forschen intensiv zu den Fettsäuren. Der Schlüssel scheint dabei die Fähigkeit der kurzkettigen Fettsäuren zu sein, die Darmflora gezielt positiv zu verändern und eine ungünstige Zusammensetzung der Darmbakterien zu korrigieren. Denn sie dienen nach dem aktuellen Stand der Forschung besonders denjenigen Darmbakterien als Nahrungsgrundlage, die eine besondere Schutzfunktion für den Menschen haben: Sie können Entzündungen im Körper verhindern und vor einem Angriff des menschlichen Organismus auf körpereigene Zellen schützen, der die Ursache für zahlreiche Autoimmunerkrankungen ist – wie etwa Multiple Sklerose, Schuppenflechte oder Rheuma.
Gleicht Mangel an Pflanzenfasern und Balaststoffen aus
Bei vielen Mitteleuropäern hat die moderne Ernährungsweise dazu geführt, dass diese wichtigen schützenden Darmbakterien nicht in ausreichender Zahl vorkommen und damit nicht genug kurzkettige Fettsäuren von der Darmflora produziert werden. Die Bakterien brauchen als Nahrungsgrundlage Pflanzenfasern und Ballaststoffe, von denen auch viele Deutsche zu wenig essen. Studien, bei denen unter anderem Propionat, das Salz der Propionsäure, zum Einsatz kommt, lassen den Schluss zu, dass die Einnahme kurzkettiger Fettsäuren hilft, diesen Mangel auszugleichen, die Darmflora positiv zu beeinflussen – und die Schutzfunktion zu stärken.
Für Lebensmittel-Experten ist das Propionat ein alter Bekannter: als unbedenkliches Konservierungsmittel unter anderem im Brot und bei der Herstellung von Käse. Die Qualität der auf dem Markt erhältlichen Propionate schwankt stark: “Erst die langjährige Erforschung und die Identifizierung der wirksamsten und sichersten Wirkstoffe ermöglichte die Entwicklung eines Produkts, wie es bei den Forschungsprojekten eingesetzt wird”, sagt Dr. Ulrich Matthes, Geschäftsführer von Flexopharm Brain. Das Unternehmen ist Marktführer für das in der medizinischen Forschung relevante hochreine Natriumpropionat, das heute unter dem Handelsnamen Propicum vertrieben wird.
Tijana Nikolic