Leben und arbeiten in einem arabischsprachigen Land ist für mich eine Gelegenheit, mich mit dieser Sprache auseinanderzusetzen. Eine Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lasse. Erfahrungsbericht einer Arabisch Lernenden.
Was viele Arabisch-Unkundige gleichermassen fasziniert wie abschreckt, ist die arabische Schrift. Wie soll man diese äusserst dekorativen Schnörkel je entziffern, geschweige denn flüssig lesen können? Geschrieben wird von rechts nach links, was aber aufgrund des komplett neuen Schriftbildes bereits nach kurzer Zeit völlig normal ist. Gewöhnungsbedürftiger hingegen ist die Tatsache, dass Zahlen auch inmitten eines rechts-links-Textes von links nach rechts angegeben werden. Das arabische Alphabet besteht aus 28 Buchstaben, wobei – ausser sechs Buchstaben – jeder in vier verschiedenen Formen geschrieben werden kann, je nachdem ob er am Wortanfang, in der Wortmitte, am Wortende oder alleine steht. Es gilt folglich erst mal, 100 verschiedene Formen auseinanderzuhalten, beziehungsweise diese selbst schwungvoll hinzukriegen. Im Vergleich zu den zig tausend chinesischen Zeichen eine immer noch recht überschaubare Zahl.
Feines Ohr und krachender Gaumen
Mit Entziffern und Kritzeln – das heisst Lesen und Schreiben – ist es freilich nicht getan. Schliesslich will ich ja primär mit den Menschen sprechen. Es gilt folglich vier für unsere Ohren sich kaum voneinander unterscheidende “S”, mehrere “T” und “D” auseinanderzuhalten und – als Königsdisziplin – die für das Arabische typischen Kehllaute zu lernen. Für einmal kommt einem hier das Schweizerdeutsche zu Gute. Entsprechend ist auch das für die meisten Deutschen unaussprechliche “Chuchichäschtli” für Araber alles andere als ein Zungenbrecher. Ausgerüstet mit Schriftzeichen und den entsprechenden Lauten fängt das Abenteuer Arabisch allerdings erst an. Denn im Arabischen werden bloss die langen Vokale geschrieben, die kurzen jedoch nicht – zum Beispiel “Buch”: ktaab. Ein Arabisch-Anfänger kann nun zwar die einzelnen Buchstaben eines Wortes erkennen, es aber unter Umständen trotzdem nicht korrekt lesen, weil er nicht weiss, ob es mit einem kurzen A, I oder U ausgesprochen werden muss. Um ein Wort korrekt erkennen zu können, muss aus dem Kontext ersichtlich sein, um welche der möglichen Kombinationen kurzer Vokale es sich in diesem spezifischen Fall handelt. Kennt man dann allerdings ein Wort, beziehungsweise seine Wurzeln, lassen sich viele weitere Wörter – mit Übung oder auch etwas Phantasie – aus demselben Wortstamm ableiten. So heisst “Buch” (kitaab), “schreiben” (kataba) oder “Schriftsteller” (kaatib).
Cuca-Cula
Für Anfängerinnen gibt es Abhilfe in der Not. Zusätzliche Zeichen über oder unterhalb des jeweiligen Buchstabens geben an, welcher kurze Vokal folgt. Dies erhöht zwar das dekorative Element der Schrift einmal mehr, doch schafft es zumindest semantisch Klarheit. So ist der Koran heute durchwegs vokalisiert, damit sich wenigstens ob der heiligen Worte keine Uneinigkeit bilde. Nebst den kurzen Vokalen fehlen dem Arabischen aus unserer Sicht ganze Buchstaben wie zum Beispiel o oder p. Coca-Cola findet sich zwar auch im von US-Sanktionen belegten Syrien, doch wird auf grossen Plakatwänden jeweils für “Cuca-Cula” geworben – ausgesprochen wird’s jedoch wie gewohnt mit o. Pepsi, der grösste Konkurrent neben Mekka-“Cula”, bietet seine Ware als “Bebsi” feil. Weil die arabische Schrift als heilig gilt, sind sämtliche Bestrebungen, das arabische Alphabet zu “ergänzen” bislang gescheitert.
500 Begriffe für den König der Raubtiere
Arabisch gilt als eine der wortreichsten Sprachen mit vielen Synonymen für ein und denselben Begriff. Alleine für “Löwe” soll es an die 500 Wörter geben. Assad, der Name des syrischen Präsidenten, ist bloss eines davon. Nach meinem kurzen Arabisch-Intensivstudium kenne ich bereits zehn Ausdrücke für “Haus”. Blöd bloss, wenn im Gespräch ein Wort fällt, dessen Synonym ich zwar soeben gelernt habe, es selbst aber erst zwei Lektionen später auf die Vokabelliste kommt. Die grösste Schwierigkeit beim Arabisch-Lernen sind aber weder kehlige Laute, fehlende Buchstaben, noch der immense Wortschatz, sondern die schlichte Tatsache, dass die Menschen auf der Strasse einen Dialekt sprechen, der wenig gemein hat mit dem Hocharabisch aus dem Lehrbuch. Es ist ein bisschen wie in der Schweiz: Zeitungen und der panarabische Fernsehsender Al Jazira verwenden die Hochsprache, die Menschen untereinander sprechen Dialekt. Und sie fühlen sich, ähnlich vielen Schweizern, oft nicht sehr wohl, mit einer Ausländerin die Hochsprache zu sprechen. Zum Glück kann ich mich mittlerweile – zumindest auf Dialekt – mehr oder weniger verständigen. Bis ich eine arabische Zeitung fliessend lesen kann, fliegen die Tauben in Damaskus noch zahlreiche Runden… doch ich bleibe dran. “Insch’allah” würden die Araber sagen.