Im Januar 2014 erhob die «Rundschau» des Schweizer Fernsehens harte Vorwürfe gegen Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann. Weil die Verantwortung bei der Steuerverwaltung liegt, gibt sich Bundesrat Schneider-Ammann zufrieden. Dafür gibt es keinen Grund
Die Ammann-Gruppe habe bis ins Jahr 2009 mehrere hundert Millionen Franken in speziellen Finanzgesellschaften in Luxemburg und auf der Kanalinsel Guernsey parkiert. Während Tagen geriet Schneider-Amman insbesondere von Seiten der Sozialdemokraten unter Druck. Es zeigte sich rasch, dass die Ammann-Gruppe nicht getrickst hatte: Die Steuerverwaltung des Kantons Bern teilte nach wenigen Tagen mit, dass die vorgenommenen Veranlagungen gesetzeskonform und damit in Ordnung seien. Mit diesem Schritt entlastete sie Schneider-Ammann und dessen frühere Firma. Politisch war die Sache damit aber nicht ausgestanden. Unter Druck gerieten die Berner Steuerbehörden selbst, die sich dem Vorwurf ausgesetzt sahen, Steuer-Rulings zu grosszügig zu genehmigen. Sie beauftragte in der Folge die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) als neutrale Stelle mit der Überprüfung des Veranlagungsverfahrens im Fall Schneider-Ammann.
Sachverhalt nur Lückenhaft erhoben
Dieser Verdacht bestätigt sich nun. In ihrem Bericht, den die Steuerverwaltung des Kantons Bern am Donnerstag publizierte, kommt die ESTV zum Ergebnis, dass die bernischen Behörden den Sachverhalt nur lückenhaft erhoben haben. Bei einer genaueren und konsequenteren Abklärung in den damaligen Veranlagungsverfahren wäre eine andere rechtliche Beurteilung der Sitzfrage der beiden Offshore-Gesellschaften der Ammann-Gruppe denkbar gewesen. Die vorliegenden Fakten und Belege hätten eher zu einer anderen Beurteilung führen müssen. Konkret: «Auf der Basis der vorliegenden Akten hätte die ESTV das Ruling 2007 nicht genehmigt.» Allerdings hat die Untersuchung der ESTV auch keine Tatsachen zu Tage gefördert, welche eine nachträgliche Neubeurteilung im Rahmen eines Nachsteuer- oder Steuerhinterziehungsverfahrens möglich machen würden. Hinweise für absichtliche oder gar strafrechtlich relevante Verfehlungen hat die ESTV weder bei den Berner Behörden noch bei der Ammann-Gruppe gefunden. Es gibt gemäss Bericht auch keine Indizien dafür, dass sich die Ammann-Gruppe im Veranlagungsverfahren nicht korrekt verhalten hat. Die Veranlagungsentscheide sind damit rechtsbeständig, und die Angelegenheit ist steuerrechtlich aufgearbeitet. Die Details halten die Behörden unter Verschluss, da diese dem Steuergeheimnis unterliegen. Doch der Fall ist klar: Die ESTV hätte das Ruling nicht genehmigt. In einer Stellungnahme schreibt Bundesrat Johann Schneider-Ammann, das Resultat sei für ihn «nicht überraschend, aber trotzdem sehr erfreulich». Die Ammann-Gruppe reagiert «mit Genugtuung», Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann ist zufrieden und bezeichnet das Resultat des Berichts der Steuerbehörden als erfreulich – und das, obwohl der Bericht zeigt, dass der Hauptvorwurf gegen den heutigen Bundesrat und früheren Geschäftsführer der Ammann-Gruppe stimmt. Seine Steueroptimierungspraktiken gingen zu weit. Zu Debatten wird der Bericht dagegen im Kanton Bern führen: So fordert die SP des Kantons Bern in einem Communiqué, die Finanzverwaltung müsse ihre Verantwortung in der Aufsicht der Steuerveranlagungen, insbesondere der in der Kritik stehenden Praxis der Steuerrulings, endlich wahrnehmen. Die Grünen verlangen ausserdem eine rasche und umfassende Aufarbeitung der politischen Verantwortlichkeiten durch das Parlament. Im Juni wird sich das Berner Kantonsparlament mit dem Thema befassen.
Warum klopft sich Schneider-Ammann jetzt auf die Schultern?
Aus steuerrechtlicher Sicht ist der Wirtschaftsminister aus der Schusslinie. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Ammann-Gruppe den Steuerbehörden die Konstrukte wahrheitsgemäss dargestellt hat. Solange die Offshore-Gesellschaften so operieren, wie es die Ammann-Gruppe sagte, ist ihr nichts vorzuwerfen. Wenn ein Bürger in seiner Steuererklärung Abzüge geltend macht, die das Steueramt fälschlicherweise bewilligt, kann man ihm dafür keinen Vorwurf machen. Die Hauptschuld im Fall der Ammann-Gruppe trifft die Steuerverwaltung, die es versäumt hatte, alle nötigen Informationen einzuholen und eine korrekte Veranlagung vorzunehmen. Entsprechend ist es verständlich, dass die Erkenntnisse des Berichts weder für Bundesrat Schneider-Ammann noch für die Ammann-Gruppe steuerrechtliche Konsequenzen haben. Ob die Steueroptimierungspraktiken auch aus moralischer Sicht unbedenklich sind, ist allerdings eine andere Frage. Bereits 2003 machte das Bundesgericht klar, dass Offshore-Gesellschaften ein gewisses Mass an «Substanz» vor Ort benötigen, etwa Mitarbeiter und Räume. Ab 2005 zog auch die ESTV die Schrauben an und drängte darauf, Steuer-Rulings einheitlich zu beurteilen und nicht mehr einfach durchzuwinken. Das geschah zwei Jahre vor dem fraglichen Steuerentscheid. Ferner muss man davon ausgehen, dass sowohl die Ammann-Gruppe als auch die Berner Steuerbehörden stets wussten, dass deren Offshore-Konstrukte mindestens in einem Graubereich operierten. Stossend ist zudem, dass Schneider-Ammann, damals noch Nationalrat, das Geschäft mit den Offshore-Gesellschaften politisch geisselte. 2009, ein Jahr vor der Schliessung des Konstruktes auf der Kanalinsel Jersey, sagte Johann Schneider-Ammann: «Europäische Staaten steuern ihren Bürgern zwei Drittel ihres Einkommens weg und greifen unsere Souveränität an, statt konsequent ihre eigenen Finanzplätze in die Verantwortung zu nehmen. Unlauter ist, dass bei ihnen steuerfrei desertierte Billionen bunkern.» Man darf sich heute durchaus fragen, ob das Parlament Schneider-Ammann im November 2010 als Bundesrat gewählt hätte, hätte es damals über seine Doppelmoral Bescheid gewusst.
Tijana Nikolic