Schweizer empfangen Expats nicht mit offenen Armen. Mit Platz 61 von 65 bewegt sich die Schweiz beim «Ease of Settling In Index» das vierte Jahr in Folge in den unteren Rängen, wie die Expat-Insider-Studie 2017 der Plattform Internations zeigt
Die Schweiz ist für ausländische Fachkräfte eines der am wenigsten gastfreundlichen Länder. Laut einer Studie ist das kühle Verhalten ein Grund. Nur noch in Dänemark, Australien, Kuwait und China ist es für die ausländischen Fachkräfte schwieriger, sich einzuleben. Dies hat zur Folge, dass sich weniger als die Hälfte in der Schweizer Kultur zu Hause fühlt. In der Rangliste von 65 Zielländern belegt die Schweiz den 27. Platz. Zu den beliebtesten Zielländern gehören Bahrain, Costa Rica, Mexiko, Taiwan, Portugal, Neuseeland, Malta, Kolumbien, Singapur und Spanien.
Nicht besonders dynamisch und schüchtern
So miserabel schneiden die Schweizer vor allem wegen ihres sozialen Verhaltens ab. Für reserviert (78 Prozent), distanziert (57 Prozent), traditionsverbunden (64 Prozent) und nicht besonders dynamisch (54 Prozent) halten die Expats die Schweizer. Fast sieben von zehn Expats fällt es schwer, unter der einheimischen Bevölkerung Freunde zu finden. Damit übertrifft die Schweiz den globalen Durchschnitt um 30 Prozent. Über die Hälfte der Befragten hat deshalb hauptsächlich andere Expats als Freunde. «Manchmal scheint sich hinter der Schweizer Neutralität ein Mangel an Mitgefühl zu verbergen, besonders für alle, die ‹anders› sind», sagt ein Umfrageteilnehmer aus den USA. Ein Mexikaner stellt fest: «Ist es nicht nötig, mit jemandem in Kontakt zu kommen, zu helfen oder dafür zu sorgen, dass sich jemand wohlfühlt, dann tun die Schweizer es einfach nicht.» Und ein Brite findet: «Schweizer sind freundlich, aber sie wollen sich nicht wirklich mit Ausländern anfreunden.» Ein Deutscher hält die Schweizer zudem für zu schüchtern.
«Die Schweiz ist wie eine Kokosuss»
Debra Ali-Lawson, Dozentin für Interkulturelles und Internationales Management an der Berner Fachhochschule, weiss aus eigener Erfahrung, wie schwer es Expats fällt, private Kontakte zu Schweizern zu knüpfen. «Bis man zu einem Arbeitskollegen nach Hause eingeladen wird, dauert es sehr lange.» Die Schweizer würden Arbeit und Privates stark trennen. «Unternehmen sie mit einem Arbeitskollegen ausserhalb der Arbeit etwas, treffen sie sich mit ihm höchstens an einem neutralen Ort wie einer Beiz.» Die Dozentin interpretiert das Verhalten wie folgt: «Vielleicht steckt in vielen Schweizern noch das Gen aus den Alpentälern, wo die Schweizer früher sehr zurückgezogen lebten.» Laut der Dozentin wirken die Schweizer aber nur auf den ersten Blick kühl, reserviert und distanziert. «Der Schweizer ist wie eine Kokosnuss», so Ali-Lawson.Es sei schwierig, durch die harte Schale zu dringen. «Aber hat man es einmal geschafft, mit ihnen in Kontakt zu kommen, trifft man auf eine süsse Flüssigkeit, also auf Beziehungen mit Tiefgang.» Nationen wie Italien, die USA und Brasilien vergleicht sie mit Pfirsichen. «Ihre weiche Schale macht es leicht, mit ihnen in Kontakt zu treten. Aber danach stösst man auf einen harten Kern, den sie sehr privat halten.»
Es gibt auch Positives
Die Schweiz bietet aber auch viel Positives. Über drei Viertel der Expats verdienen mehr als in einer vergleichbaren Stelle in der Heimat. 97 Prozent fühlen sich hier sicher, was 18 Prozent höher ist als der globale Durchschnitt. Beim Faktor persönliche Sicherheit ist die Schweiz auf dem dritten Platz das einzige Land in ganz Europa, das es dieses Jahr in die Top 5 schafft. Für die Studie wurden fast 13 000 Teilnehmer aus 188 Ländern und mit 165 Nationalitäten befragt, die im Ausland leben und arbeiten. Es handelt sich um eine der umfassendsten Umfragen unter Expats. Zu den unbeliebtesten Destinationen der Expats gehören die Türkei, Indien, Katar, die Ukraine, Italien, Saudiarabien, Brasilien, Nigeria, Kuwait und Griechenland.
Einsame Expats erzählen
Lena Vollmann (39), Ukrainerin, Unternehmens-beraterin: «Wir Ukrainer knüpfen schnell Kontakte. Hat man sich irgendwo kennengelernt, macht man meist gleich ein nächstes Treffen ab. Bei den Schweizern ist es ganz anders. Man muss jemanden über sehr lange Zeit immer wieder sehen, bis man die Gelegenheit hat, sich anzufreunden. Als ich früher in einer Firma mit vielen Schweizer Mitarbeitern tätig war, fiel es mir schwer, Kontakte mit ihnen zu knüpfen. Gingen meine Kollegen und ich abends nach der Arbeit noch etwas essen oder trinken, machten die Schweizer leider nie mit. Ein Freund von mir, er ist Portugiese und superoffen, erlebt gerade etwas Ähnliches. Er arbeitet in einem Schweizer Unternehmen, und es ist ihm bis jetzt noch nicht gelungen, mit einem Kollegen abends noch ein Bier trinken zu gehen. Alle haben immer schon andere Pläne und sind sehr beschäftigt. Nach wie vor habe ich keine Schweizer Freunde. Ich treffe mich nur mit Expats aus Portugal, England, Deutschland, Polen und Südafrika. Vielleicht liegt dies aber auch daran, dass ich in einem Unternehmen arbeite, in dem fast nur Expats angestellt sind.»
Zuhause fühle man sich in der Schweiz selten
«Ich lebte schon in England, Italien, Zypern und der Türkei, aber passiert ist mir so etwas nur in der Schweiz: Als ich einen Mann in einer Bar traf und ihn fragte, woher er komme, antwortete er ironisch: ‹Aus dem Zoo›. Ich war völlig überrascht. Ich hatte nichts Böses im Sinn, sondern wollte nur Leute kennen lernen. Schon als ich in Genf mein Masterstudium begann, merkte ich, wie schwierig es ist, mit Schweizern in Kontakt zu kommen. In den Vorlesungen und Seminaren verhielten sich die Schweizer Studienkollegen sehr offen und wir hatten einen guten Austausch untereinander. Aber kaum war Pause, taten sie sich nur noch mit ihren Schweizer Kollegen zusammen. In Nigeria ist es ganz anders. Trifft man jemanden und versteht man sich gut, ist diese Person ein Freund. Leider erlebte ich die Schweizer auch nicht als sehr hilfsbereit, wenn man nach einem Weg sucht. Als ich nach dem Uni-Gebäude fragte, sagte eine Person, sie habe keine Zeit und wandte sich ab. Zurzeit habe ich drei Schweizer Freunde – darunter meine Freundin, eine Schweizerin mit kamerunischen Wurzeln. Zu Hause fühle ich mich hier nicht. Vor allem, wenn ich sehe, wie die Polizei unschuldige Afrikaner hier immer wieder kontrolliert», schildert Opeyemi Obe (32)-jähriger Business Consultant aus Nigeria seine Erfahrungen.
Tijana Nikolic