Nach einer neunstündigen Bahnfahrt quer durch die Schweiz sind die beiden Elvetino-Stewards Anke Baumann und Wolfgang Engel ziemlich erschöpft. Im SBB-Speisewagen lernen die beiden Deutschen einiges über die Schweiz.
Die Elvetino-Stewards Anke Baumann und Wolfgang Engel erleben die Schweizer Kundschaft im SBB-Speisewagen als meist höflich, aber zurückhaltend.
13.11 Uhr: Abfahrt in St. Gallen. Spätes Mittagessen servieren. “Wir haben Glück, dass wir immer nur Spätdienst haben, das entspricht unserem Biorhythmus besser als Frühdienst”, sagt Anke Baumann.
Die in der Ex-DDR geborene 34-Jährige, die in Frankfurt an der Oder Literatur und Linguistik studierte, arbeitet seit März 2004 in der Schweiz – im Gastrogewerbe.
Zusammen mit ihrem Lebenspartner Wolfgang Engel (55), Restaurantfachmann und Gastro-Objektleiter, ebenfalls gebürtig aus der damaligen DDR, arbeitet Anke Baumann seit knapp über zwei Jahren beim Bahngastronomie-Unternehmen Elvetino, das zu 100% den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) gehört.
St. Gallen-Genf retour
Stammtour der beiden Deutschen Elvetino-Stewards ist die Strecke St.Gallen-Genf-Flughafen und zurück. “Im Doppelstockzug St. Gallen-Genf ist die Arbeit für uns vielfältiger und günstiger, weil wir gemäss Dienstplan die Tour gemeinsam machen können”, sagt Engel. “Eine Person arbeitet im Unterdeck im Bistro – Küchenzubereitung, Putzarbeiten – , die andere arbeitet im Oberdeck – Restaurant, Service.”
17.30 Uhr: Ankunft in Genf. Weiter nach Genf-Flughafen, Kurzaufenthalt, zurück nach Genf. Und dann ein langer Abend: 21.53 Ankunft in St. Gallen. “Und da ist oft noch nicht Feierabend”, so Engel. Denn: “Restaurant im Oberdeck und Bistro im Unterdeck müssen an der Endstation so aufgeräumt sein, dass die neue Elvetino-Equipe am nächsten Morgen direkt mit der Arbeit beginnen kann.”
Schwierige Arbeitsbedingungen
Wolfgang Engel ist beim Schweizerischen Eisenbahnerverband (SEV) Vizepräsident des Bereichs Fahrdienstleistungen. “Seit drei Jahren kämpfen wir um Mindestlöhne für Elvetino-Mitarbeiter, und das ist uns jetzt gelungen.” Das SBB-Gastrounternehmen erhöhte die Löhne 2009 um durchschnittlich knapp über 3% für alle Mitarbeitenden.
Damit liege der Mindestlohn für Elvetino-Leute bei 3500 Franken brutto, sagt Engel. Und er fügt bei: “Im Gastrobereich werden allerdings nicht gerade die Löhne bezahlt, die sich jeder Mitarbeiter wünscht.”
Gestrichen wurde die Umsatzbeteiligung. “Das war der Kompromiss für die Erhöhung der Mindestlöhne”, so Engel. “Die Provision ist ja immer relativ: Wenn jemand fit ist, macht er viel Umsatz, wenn er gesundheitlich angeschlagen ist, weniger, ebenso wenn er einen zeitlich ungünstigen Speisewagenkurs hat. Und das hat auch Auswirkungen auf die Pensionskassen-Grundlagen.”
Das Argument der Elvetino-Führung, das Nicht-Bezahlen von Spitzenlöhnen werde durch Trinkgelder aufgewogen, welche die Elvetino-Mitarbeiter kassierten, findet Anke Baumann nicht seriös. “Derzeit hat man am Monatsende weniger Trinkgeld im Portemonnaie als noch vor einem Jahr”, sagt sie. Es habe seit der Finanz- und Wirtschaftskrise weniger Stammgäste im Speisewagen.
Und die Leute konsumierten weniger und kostenbewusster. “Da hat einer nach der Arbeit immer einen Féchy, einen Schweizer Weisswein, getrunken, jetzt trinkt er nur noch ein kleines Bier”, so Wolfgang Engel. Das heisst: kleinerer Preis, kleineres Trinkgeld.
Höflich und zurückhaltend
Wie erleben die beiden deutschen Elvetino-Stewards die Schweizerinnen und Schweizer? “Höflich, zurückhaltend”, sagt Anke Baumann. “Wie eigentlich die Leute in Brandenburg, wo ich aufgewachsen bin.”
Auch die Leute im Speisewagen seien so. “Es kommt kaum vor, dass man mit Gästen ins Gespräch kommt. Die Ausnahme sind jene Leute, die regelmässig fahren, die einem begrüssen und sagen, schön, dass Sie wieder da sind. Da gibt es Gespräche, am Anfang sehr allgemein gehalten, später etwas tiefer, aber die Grenze muss immer gewahrt bleiben.”
Rassismus…
“Es gibt Ausnahmen, Einzelfälle, die problematisch sind, weil die gegen mich als Deutsche, als Ausländerin gehen”, sagt Anke Baumann. Ausgangspunkt für solche unschönen Diskussionen sei meistens ein Wunsch des Gastes, der abgeschlagen werden müsse. “Der fühlt sich dann gegängelt durch mich und durch mein Hochdeutsch.”
Die Gäste im Speisewagen seien sozial sehr durchmischt, sagt Wolfgang Engel.
“Am Wochenende hat es oft Leute, die leicht alkoholisiert sind. Wenn man denen sagt, es sei vielleicht besser, keinen Alkohol, sondern eine Tasse Kaffee zu trinken, dann geht’s gleich zur Sache: Wir Schweizer lassen uns nicht von Fremden sagen, was wir hier zu machen haben.”
…und Röstigraben
Der so genannte “Röstigraben” zwischen der deutsch- und französischsprachigen Schweiz scheine auch der “Trinkgeldgraben” zu sein, lacht Anke Baumann. In der Deutschschweiz sei es üblich, dass man Trinkgeld bekomme, wenn man einen guten Service gemacht habe.
“Sobald man aber ins Welschland kommt, lassen sich die Stammgäste ein paar Monate Zeit, um dich zu beobachten, ob du ihnen sympathisch bist, ob du freundlich bist, ob du Französisch sprechen kannst.”
Wenn man alle diese Kriterien erfülle, begännen die Welschen ein paar Monate später, die Summe aufzurunden. “Aber sonst kriegt man bei welschen Tagesgästen kein Trinkgeld. Das ist der Hauptunterschied zwischen Deutschschweizern und Romands.”
1 commento
Fand Ihren Artikel sehr interessant.
http://www.facebook.com/pages/Restaurant-NEWS/264980695264?ref=ts