Alt-Bundesrat Didier Burkhalter erkrankte nach seinem Rücktritt. Ein Jahr darauf musste er
operiert werden. Es sei aus dem Nichts gekommen, sagt er der «Glückspost» – und sprach über seine Arbeitsbelastung während seiner Zeit als Bundesrat
«Es passierte, dass ich Dossiers im Badezimmer las – oft zu irgendwelcher Zeit in der Nacht. Ich habe bis zu 100 Stunden pro Woche gearbeitet.» Auf die mahnenden Worte seiner Frau habe er zu wenig gehört. Doch macht zu viel Arbeit tatsächlich krank? Ja, heisst es bei der Gewerkschaft Unia. Besonders in den Dienstleistungsberufen sei das Problem gravierend, sagt Sprecherin Leena Schmitter. «Eine Mehrheit steht bei der Arbeit oft oder immer unter Stress. Viele fühlen sich unmotiviert, ausgelaugt, nervös und gereizt oder körperlich angeschlagen.»
Missbräuche bei Einhaltung der Arbeitsvorschriften
Das Problem nehme zu: «Die Arbeitswelt verändert sich. Das hat direkte Auswirkungen auf die Gesundheit und das Privatleben», sagt Schmitter. Arbeitsbedingter Stress komme sehr häufig vor und habe oft negative Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit. Zudem werde gerade im Dienstleistungsbereich oft ständige Erreichbarkeit gefordert. «Der Druck auf die Angestellten steigt, Missbräuche bei der Einhaltung der arbeitsrechtlichen Vorschriften zu Arbeits- und Ruhezeiten sind weit verbreitet und gesetzliche Bestimmungen werden oft nicht eingehalten», so Schmitter. Die Unia habe ein Kompetenzzentrum zur Arbeitszeiterfassung aufgebaut. Eine Hotline berate Arbeitnehmer kostenlos.
Leistung nimmt ab
Die Sensibilität bei den Unternehmen für das Thema wachse, sagt hingegen Vera Bregger. Sie leitet das Kompetenzzentrum für Gesundheit und Prävention Vivit der Krankenkasse CSS. Der bewusste Umgang mit Belastung und ausreichend Erholung sei essentiell, sagt sie. Frühe Anzeichen einer Überforderung oder Überbelastung, etwa durch hohe Arbeitspensen, könnten Bauchkrämpfe, ein schlechter Schlaf oder allergische Hautreaktionen sein. «Viele verändern ihr Verhalten, die einen werden ruhig und ziehen sich zurück, andere reagieren gereizt», sagt Bregger. Stress sei dann kontraproduktiv, die Leistung und die Zuverlässigkeit nähmen ab.
«Botschaft nicht überall angekommen»
Besonders wichtig seien die Führungskräfte. «Sie müssen sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein», sagt Bregger. Das heisse: Ruhezeiten müssen respektiert werden und bei andauernd hoher Arbeitsbelastung Kapazitäten bereitgestellt werden.«Führungskräfte sollen sich für ihre Mitarbeiter einsetzen», sagt Bregger. Noch sei die Botschaft nicht überall angekommen. Es gebe immer noch Unternehmen mit anderem Führungsverständnis. Überstunden könnten aber auch auf Überforderung hinweisen – oder darin begründet liegen, dass Mitarbeiter Stunden sammeln wollten. Menschen mit hohem Engagement und Leidenschaft für ihren Beruf seien besonders gefährdet. Dazu gehörten beispielsweise Forscher, sagt Bregger. «Sie müssen sich bewusst sein, dass Ausgleich wichtig ist – und dauerhafter Stress gesundheitliche Schäden mit sich bringen kann.»
Tijana Nikolic